Dieses Prinzip ist eines der Geheimnisse der guten Erziehung: Schlechte Laune vorbeugen oder verringern, indem man Kinder von belastenden Situationen und Konflikten ablenkt. Doch wie macht man das eigentlich? Wie lenkt man ein 2-jähriges Kind ab, das kurz davor ist, durchzudrehen?

Das erste Ziel ist es, das Kind mit einer schönen Aktivität abzulenken. Doch es ist nicht immer leicht, Kinder zur Kooperation zu bewegen. Zudem verfolgst du ein weiteres, langfristiges Ziel. Du willst deinem Kind helfen, bessere Fähigkeiten zur Selbstkontrolle zu entwickeln, damit es die täglichen emotionalen Herausforderungen besser meistert – auch wenn du nicht da bist, um sie abzulenken.

Zum Glück haben sich Entwicklungspsychologen mit diesem Problem beschäftigt und wir können viel von ihren Erkenntnissen lernen. Werfen wir einen Blick auf ein aktuelles Experiment mit 2-Jährigen und sehen wir uns an, wie wir die Erkenntnisse auf unseren Alltag übertragen können.

So reagieren Kleinkinder auf die Frustration, die beispielsweise das Warten auslöst

Stell dir Folgendes vor: Du gehst mit deinem Kind an einen fremden, unbekannten Ort – ein psychologisches Labor – und wirst sofort in einen Raum mit einigen Spielsachen geführt. Eine Forscherin sagt, dass sie dich und dein Kind für ein paar Minuten alleine lässt. Sie weist dich an, mit deinem Kind zu spielen, bis sie wieder zurückkommt.

Nach einer Weile kommt die Forscherin zurück. Sie bringt zwei weitere Spielzeuge mit und spielt ein paar Minuten lang mit deinem Kind.

So weit, in Ordnung, oder? Dein Kind fühlt sich durch die neue Umgebung und die fremde Person womöglich ein bisschen verunsichert. Doch die Fremde ist freundlich und im Großen und Ganzen scheint dein Kind Spaß zu haben.

Nun kommt der schwierige Teil.

Der Forscher hört auf zu spielen und zeigt deinem Kind einen besonders interessanten Gegenstand – ein Geschenk, das verlockend verpackt war, oder eine Süßigkeit. Dein Kind möchte diesen Gegenstand haben. Das ist klar. Doch es darf ihn nicht haben. Noch nicht. Der Forscher stellt den Gegenstand auf ein hohes, unzugängliches Regal und deutet dann auf ein rot leuchtendes Licht im Raum. Sie erklärt deinem Kind:

„Ich werde jetzt wieder gehen, während ich weg bin, bleibt dieses Licht rot. Doch wenn ich zurückkomme, schaltet es auf grün und ich werde es dir geben.“

Der Forscher fordert dich als Elternteil auf, dich so unbeteiligt wie möglich zu verhalten. Vermeide es, mit deinem Kind zu kommunizieren. Dann verlässt der Forscher den Raum und schließt die Tür hinter sich.

Du und dein Kind seid allein im Raum. Die Spielsachen sind noch da. Doch dein Kind weiß über den aufregenden Gegenstand auf dem hohen Regal Bescheid.

Vermutlich ist das kein Szenario, das du erleben möchtest. Es wurde von Johanna Schoppmann und ihren Kolleg/innen entwickelt, um kleine Kinder absichtlich zu irritieren. Ihr Ziel war es, herauszufinden, wie Kleinkinder auf eine solche frustrierende Situation reagieren und wie man sich denken kann, war die Antwort „nicht besonders gut“.

Als Schoppmanns Team dieses Szenario an 96 Zweijährigen testete, waren die Kinder nicht begeistert. Sie hatten vorher ziemlich viel Spaß gehabt, als sie mit den Spielsachen spielten. Doch jetzt, wo ein unerreichbarer Gegenstand auf sie wartete? Die Kinder sollten nur 3 Minuten warten und bekamen am Ende die versprochene Belohnung. Doch während des Wartens verschlechterte sich ihre Stimmung dramatisch. Sie weinten, jammerten, schrien und benahmen sich auf andere Art und Weise daneben.

Schoppmann und ihre Kolleg/innen hatten nun einen Anhaltspunkt dafür, wie Kinder auf die Frustration des Wartens reagierten. Damit hatten sie einen Maßstab, an dem sie zukünftige Fortschritte messen konnten. Und genau das war der Ausgangspunkt für den nächsten Teil des Experiments. Gab es eine Methode, mit der die Forscher den Kindern dabei halfen, ihre Fähigkeit zur Bewältigung negativer Gefühle zu verbessern?

Aus früheren Untersuchungen wusste Schoppmanns Team, dass kleine Kinder in der Lage sind, sich spielerisch von Frustration und Wut abzulenken. Tatsächlich hatten einige Kinder das Warteszenario erfolgreicher gemeistert als andere… Gerade weil sie sich auf das Spielen mit den Spielzeugen konzentriert hatten. Die Forscher fragten sich also, ob sie diese Fähigkeit lehren könnten und sie hatten eine Idee, wie das gehen könnte. Vormachen und erklären!

Ein Versuch über die Macht der Vorbilder

Schoppmann und ihre Kollegen teilten die Kinder nach dem Zufallsprinzip verschiedenen Versuchsbedingungen zu.

Ein Teil der Kinder wurde in eine Kontrollgruppe eingeteilt. Diese Kinder spielten mit dem Forscher ein Spiel, bei dem die Kinder nicht lernten, mit negativen Gefühlen umzugehen.

Die anderen Kinder? Sie erlebten etwas anderes – eine Art Lehrgang zur Selbstkontrolle. Das Ganze lief folgendermaßen ab:

Der Forscher enthüllte ein außergewöhnliches neues Spielzeug und vertraute dem Kind an, dass sie, die Forscherin, dieses Spielzeug unbedingt haben möchte. Aber sie kann es jetzt noch nicht haben. Sie muss warten, bis die Ampel grün wird.

Dann begann der Forscher mit einem anderen Spielzeug zu spielen, um sich abzulenken. In den nächsten drei Minuten äußerte sich die Forscherin dreimal laut über ihre Gefühle. Sie wiederholte, dass sie das Warten nicht mochte, aber das Spielen half. „Ich fühle mich prima, wenn ich spiele.“

Am Ende der dreiminütigen Wartezeit schaltete der Forscher die Ampel auf Grün und die Forscherin nahm sich das ersehnte Spielzeug. Dann spielte sie kurz damit und wiederholte ein letztes Mal die Kernaussage. „Ich mochte das Warten nicht, aber das Spielen hat mir geholfen.“

Was lernen die Kleinkinder aus diesem kleinen Schauspiel? Sie sahen, wie ein Erwachsener zugab, dass er sich über das Warten ärgerte. Doch sie sahen auch, welche Bewältigungsstrategie sie an den Tag legte, nämlich sich mit Spielen zu beschäftigen. Und sie hörten, wie sie dies vier Mal erklärte. Würden sie aus ihrem Beispiel lernen?

Um dies herauszufinden, führten Schoppmann und ihre Kollegen eine zweite Warteübung durch. Auch hier wurde den Kindern ein begehrtes Geschenk oder eine Süßigkeit präsentiert. Wieder wurde es außerhalb ihrer Reichweite platziert und es wurde ihnen gesagt, dass sie warten müssten, bis sie es bekämen.

Was passierte anschließend?

Das hing davon ab, ob ein Kind zuvor den Erwachsenen dabei sah, wie dieser eine Ablenkungsstrategie vorführte und darüber sprach. Die Kinder, die diese Methode zuvor sahen, verbrachten deutlich mehr Zeit damit, sich mit dem Spielen abzulenken. Und je mehr Zeit die Kinder damit verbrachten, sich abzulenken, desto seltener traten während der Wartezeit negative Gefühle auf.

Es funktionierte also. Zweijährige lernten durch das Vorbild der Erwachsenen. Das ist eine gute Neuigkeit für alle Eltern und Bezugspersonen von Kleinkindern. Wenn Kleinkinder mit einer frustrierenden Wartezeit konfrontiert sind, können wir sie bei der Bewältigung unterstützen, indem wir ihnen die Ablenkungs- und Spielstrategie vormachen (und erklären).

Bildquelle: https://unsplash.com/photos/cRn8Ymdm9nM

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