Neugeborene verbringen die meiste Zeit mit Schlafen und Trinken. Doch Babys benötigen mehr als nur ihre körperlichen Bedürfnisse erfüllt. Schon kurz nach ihrer Geburt sind sie in der Lage soziale Kontakte zu knüpfen, weshalb unsere liebevolle Fürsorge tiefgreifende Auswirkungen auf ihre Entwicklung hat.

Vor einigen Generationen neigten Bildungstheoretiker/innen dazu, Neugeborene zu unterschätzen. Sie gingen davon aus, dass Babys nicht Denken können und keine Fähigkeiten haben. Babys besaßen ihrer Auffassung nach noch keinen Verstand – und sie zeigten keine Reaktion auf interaktive Reize.

Heutzutage wird allerdings das genaue Gegenteil angenommen.

Mittlerweile weiß man, dass ein Fötus schon Monate vor der Geburt riechen und hören kann. Babys können sich im Mutterleib auch selbst berühren und die Konturen ihres eigenen Gesichts ertasten.

Diese vielfältigen Eindrücke geben dem sich entwickelnden Fötus wichtige Hinweise auf die Gesellschaft, in der er leben wird. Nach der Geburt scheinen Babys in der Lage zu sein, schnell etwas über ihre Umwelt zu lernen.

So sind Neugeborene keineswegs ungebildet, und diejenigen, die sich um Neugeborene kümmern, sind mehr als nur Windelwechsler.

Hier einige Beispiele dafür, was neugeborene Babys alles können, insbesondere mit Blick auf die sozialen Kompetenzen, welche Säuglinge innerhalb weniger Tage (und manchmal sogar Stunden) nach der Geburt zeigen.

Neugeborene können Stimmen erkennen

Ja, Neugeborene erkennen die Stimmen ihrer Mütter – und noch einiges mehr.

Wenn ein Baby auf die Welt kommt, hat es schon eine beträchtliche Menge an Worten mitbekommen, vor allem die der Mutter. Natürlich hat es diese nur gedämpft wahrgenommen, allerdings können Babys trotzdem einige Sprachrhythmen und -töne erkennen und dadurch einige eindrucksvolle Unterschiede feststellen.

Neugeborene können zum Beispiel den Unterschied zwischen der Stimme ihrer Mutter und einer fremden Frau erkennen.

Sie können auch zwischen den Klängen ihrer eigenen Muttersprache und einer Fremdsprache unterscheiden.

Wie können wir das wissen?

Forscher/innen haben raffinierte Methoden eingesetzt, die es Neugeborenen ermöglichen, zu „wählen“.

In einem klassischen Versuch werden Babys mit Schnullern ausgestattet, an denen sie nuckeln dürfen. Die Forscher/innen reagieren auf das rasche Nuckeln des Babys, indem sie eine Tonaufnahme abspielen. Und wenn das Baby plötzlich aufhört zu nuckeln? Dann stoppen die Forscher/innen das Abspielen abrupt.

Die Neugeborenen verstehen das schnell, und schon bald nutzen sie ihre Entscheidungsfreiheit, um die Wiedergabe zu kontrollieren.

Wenn sie zwischen der Stimme ihrer Mutter und einer fremden Stimme wählen können, entscheiden sich die Neugeborenen für ihre Mutter.

Babys zeigen außerdem Vorlieben für ihre eigene Muttersprache.

In einem Experiment mit 4 Tage alten Babys spielten französische Forscher/innen Babys Aufnahmen eines bilingualen Sprechers vor, der dieselbe Geschichte erzählte – einmal auf Französisch und einmal auf Russisch. Die Babys, die bereits im Mutterleib Französisch „gehört“ hatten, bevorzugten eindeutig die französische Version der Geschichte.

Welche anderen Geräusche bevorzugen Neugeborene?

Studien zeigen, dass Neugeborene den Klang von Stimmen, die Menschen ähneln – einschließlich der Stimmen von Affen – synthetischen Klängen vorziehen. Dieses Wissen ist nützlich, wenn du versuchst, eine Sprache zu lernen. Achte also eher auf Laute, die aus dem Vokaltrakt eines Primaten stammen.

Doch Neugeborene zeigen eine zusätzliche Neigung, die sogar noch hilfreicher ist. Ihnen gefällt eine besondere Art des Sprechens am besten, welche in der Forschung als “ Babysprache“ bezeichnet wird.

Das ist ein Sprachstil, den Erwachsene häufig anwenden, wenn sie mit einem Baby sprechen. Wir sprechen langsamer. Unser Tonfall wird abwechslungsreicher, ausgeprägter und melodischer. Wir betonen beim Sprechen bestimmte Wörter und wiederholen diese Wörter immer wieder.

Diese Art des Sprechens macht es den Babys leichter, unsere Gefühle zu deuten. Sie hilft Babys auch dabei, sprechen zu lernen. Es ist also sehr aufschlussreich, dass Babys schon so jung eine Vorliebe für die “ Babysprache“ zeigen. Forscherinnen und Forscher haben diese Tendenz bereits bei Babys im Alter von 2 Tagen nachgewiesen.

Können Neugeborene Gesichter erkennen?

Falls die Theorie der Unwissenheit bei Neugeborenen richtig ist, sollten Neugeborene keine Erwartungen oder Vorurteile in Bezug auf Gesichter besitzen. Sie sollten zum Beispiel nicht besonders auf Gesichter achten, denn sie haben keinen Grund zu denken, dass Gesichter wichtiger sind als zum Beispiel Füße oder Glühbirnen. Sie hatten nämlich noch keine Gelegenheit, das zu lernen.

Doch diese Überlegungen wurden widerlegt. In Experimenten zeigten Neugeborene eine Vorliebe für Gesichter und für Dinge die Gesichtern ähnelten, also Dinge, die eine dem Kopf ähnelnde Struktur mit zwei „Augenpunkten“ über einem „Mund“ haben. Diese Ergebnisse wurden durch EEG-Studien bestätigt, welche die Veränderungen in der Gehirnaktivität von Neugeborenen messen.

Es scheint, als ob Babys mit einem einsatzbereiten System zum Erkennen von Gesichtern geboren werden. Sie scheinen gewillt zu sein, ihren Blick auf alles zu richten, was einem Gesicht ähnelt – eine Tendenz, die Babys dabei hilft, mit ihren Bezugspersonen von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren.

Können Neugeborene bestimmte Gesichter erkennen? Können sie zum Beispiel die Gesichter ihrer Mütter identifizieren?

Neugeborene sehen noch schlecht. Ihre Sicht ist unscharf. Dennoch scheinen sie sehr schnell in der Lage zu sein, bestimmte Gesichter zu erkennen.

Bei einer Studie zeigten Forscherinnen und Forscher den Babys Videos mit den Gesichtern von Frauen. Die Babys, die zwischen 12 und 36 Stunden alt waren, waren in der Lage, das Gesicht ihrer Mutter vom Gesicht einer Fremden zu unterscheiden. Sie zeigten eine klare Vorliebe für das Gesicht ihrer Mutter.

Weitere Studien deckten sich mit diesen Ergebnissen und gaben Aufschluss über die Anhaltspunkte, mit denen Babys Menschen voneinander unterscheiden können. Vermutlich nehmen sie Unterschiede in der Gesichtsform, der Frisur und der Haarfarbe wahr.

Können Neugeborene auch schon Gesichtsausdrücke deuten und verstehen?

Das ist vermutlich noch zu schwierig für sie, obwohl eine Studie zeigt, dass Neugeborene bestimmte Gesichtsausdrücke erkennen können. Wenn sie zwischen einem ängstlichen und einem lächelnden Gesicht auswählen mussten, schauten Neugeborene länger auf das lächelnde Gesicht.

Es gibt außerdem Grund zu der Annahme, dass Neugeborene unsere Blickrichtung wahrnehmen.

Zeigt man einem Neugeborenen zwei Varianten desselben Gesichts – eine, die zur Seite schaut, und eine andere, die das Baby direkt anschaut -, schaut das Baby länger auf das Gesicht, das Blickkontakt herstellt.

Möglicherweise hängt dies nicht nur vom Blickkontakt ab. In einem Experiment fanden die Forscher heraus, dass Neugeborene Personen lediglich dann bevorzugten, die sowohl Blickkontakt herstellten, als auch das Baby mit Babysprache ansprachen.

Dennoch scheinen Neugeborene empfänglich für Augenkontakt zu sein, was angesichts der Wichtigkeit des Augenkontakts bezüglich guter Kommunikation auch Sinn ergibt. Aktuelle Forschungsergebnisse legen nahe, dass Neugeborene wirklich sehr gut darin sind, direkten Blickkontakt von einem Blick, der an ihnen vorbeigeht unterscheiden zu können.

In einer Studie mit 32 Neugeborenen präsentierten die Forscher den Babys Videos von Fremden. Jedes Video enthielt eine Nahaufnahme des Gesichts einer unbekannten, und in jedem Video sprach die Frau – sie kommunizierte mit dem Baby.

In der einen Hälfte der Videos war der Blick der Frau direkt auf die Kamera gerichtet. In der anderen Hälfte blickte die Frau “ in die Ferne“: Sie schaute auf etwas, das sich direkt über der Kamera befand.

Wie man an diesen Beispielen sehen kann war der Unterschied nicht besonders offensichtlich.

Doch die Babys bemerkten diesen “ Blick in die Ferne“. Sie schauten sich Gesichter mit direktem Augenkontakt länger an.

Es gibt auch Hinweise dafür, dass Neugeborene auf die generelle Ausdruckskraft von Gesichtern achten.

Eine Methode, um zu testen, ob Neugeborene Gesichter bevorzugen, die Gefühle ausdrücken, ist das sogenannte „Still-Face-Paradigma“. Es funktioniert folgendermaßen:

Ein Erwachsener – in der Regel die Bezugsperson – wird gebeten, ganz normal mit dem Baby zu interagieren. Dann nimmt der Erwachsene plötzlich einen neutralen Gesichtsausdruck an.

Die Reaktionen des Babys werden aufgezeichnet und ausgewertet.

Anhand dieser Experimente, bei denen Babys im Alter von 6 Wochen einen neutralen Gesichtsausdruck ausgesetzt wurden, konnte nachgewiesen werden, dass ihre Blicke und ihr guter Gefühlszustand deutlich abnahmen, wenn die Gesichter ihrer Bezugspersonen ausdruckslos wurden.

Eine Studie mit 2 Monate alten Babys in Taiwan kam zu ähnlichen Ergebnissen.

In Schottland haben Forscherinnen und Forscher bei Babys, die jünger als 4 Tage waren, Hinweise auf Verzweiflung wahrgenommen.

Können Neugeborene uns nachahmen?

Das ist nicht eindeutig geklärt, aber Neugeborene reagieren definitiv auf unsere Mimik und Gestik.

Im Jahr 1983 führten Andrew Meltzoff und Keith Moore ein richtungsweisendes Experiment durch. Sie zeigten Babys (im Alter von einer Stunde bis zu drei Tagen) ein Video, auf dem ein Fremder Grimassen schnitt.

  • In einer Situation streckte der Fremde seine Zunge heraus.
  • In einer anderen Situation öffnete er seinen Mund.

Die Auswertung überraschte viele Menschen, die glaubten, Neugeborene seien untätige, reaktionslose Geschöpfe: In den 20 Sekunden, nachdem der Fremde etwas gezeigt hatte, reagierten die Babys mit größerer Wahrscheinlichkeit auf die Handlung, die sie gerade beobachtet hatten.

Nachfolgende Studien haben diesen Effekt sogar bei Menschenaffen, wie neugeborenen Makaken, reproduziert.

Es scheint sich also um eine Reaktion zu handeln, die tief in der menschlichen Natur verwurzelt ist, auch wenn Babys ihre eigenen, speziellen Eigenschaften haben. Im Gegensatz zum Affen zeigen unsere Babys eher eine “ herausgestreckte Zunge“, wenn sie liegen oder in einem Kindersitz sitzen.

Ist das eine echte Nachahmung? Nicht unbedingt.

Als Janine Oostenbroek und ihre Kollegen das Phänomen erneut untersuchten, wollten sie wissen, ob Neugeborene ihre Zunge herausstrecken, um es uns nachzumachen, oder ob dies eine ganz normale Verhaltensweise bei direkter Kommunikation ist. Möglicherweise tun Babys das nämlich auch, wenn wir lächeln oder mit den Händen gestikulieren.

Die Forscherinnen und Forscher führten ihre eigenen Experimente durch und fügten weitere Kontrollpunkte hinzu und stellten fest, dass sie zu Recht misstrauisch waren:

Neugeborene streckten ihre Zunge als Reaktion auf verschiedene Gesten heraus, darunter fröhliche Gesichter und das Zeigen mit dem Finger, ohne dass die Babys irgendetwas zu imitieren schienen.

Trotzdem ist es zu früh, aus diesen Ergebnissen zu schließen, dass Neugeborene uns überhaupt nicht nachahmen können.

In einer Reihe von Experimenten, die Emese Nagy und ihre Kollegen (2014) durchführten, hoben 2 Tage alte Neugeborene eher ihren Zeigefinger, wenn sie sahen, dass ihre Mütter das auch taten.

Außerdem machten die Neugeborenen Gesten nach, bei denen sie zwei Finger bewegten (z. B. das “ Peace-Zeichen“). Außerdem zeigten sie Anzeichen für ein schnelles Lernen, denn ihre Gesten wurden mit der Zeit immer präziser.

All diese Studien bestätigen eine entscheidende Tatsache in der Entwicklung: Neugeborene sind aufmerksam, reagieren auf Kommunikation von Angesicht zu Angesicht und sind lernbereit.

Virginia Slaughter, Koautorin von Oosterbroek, glaubt sogar, dass Babys viel lernen, wenn wir sie nachahmen. Sie stellte fest, dass Eltern ihre Babys sehr häufig imitieren, wodurch Babys die Möglichkeit haben, „ihre Gesten mit denen einer anderen Person zu verbinden“.

Sind neugeborene Babys zur Empathie fähig?

Falls du schon einmal eine Neugeborenenstation besucht hast, ist dir bestimmt aufgefallen, dass Weinen ansteckend ist. Ein Baby weint, und das scheint eine Kettenreaktion auszulösen.

Ist es nur so, dass Babys auf bedrohliche Geräusche mit Weinen reagieren? Anscheinend nicht. Die Forschung zeigt, dass Neugeborene den Unterschied zwischen den Geräuschen

  • ihres eigenen Weinens;
  • des Weinens anderer Neugeborener und
  • des Weinens älterer Babys;

erkennen und der Effekt des ansteckenden Weinens gilt offenbar nur für das Weinen anderer Neugeborener.

In einer Studie weinten 1 Tag alte Neugeborene mit größerer Wahrscheinlichkeit, wenn sie ein Tonband mit einem anderen Neugeborenen in Not hörten. Wenn sie jedoch Aufnahmen ihres eigenen Weinens oder das Weinen eines 11 Monate alten Babys hörten, reagierten die Neugeborenen nicht.

Ist das nur ein Reflex der Neugeborenen, eine Reaktion, die nach den ersten Tagen nach der Geburt wieder verschwindet? Offenbar ist das nicht der Fall. Als Forscher Babys im Alter von 1, 3, 6 und 9 Monaten untersuchten, stellten sie fest, dass ältere Babys genauso wie Neugeborene mit Verzweiflung reagierten, wenn sie Schmerzensschreie hörten.

Wie die Gehirnforscher Jean Decety und Philip Jackson anmerken, deuten diese Studien darauf hin, dass junge Babys eine der Grundlagen der Empathie beherrschen – die Fähigkeit, Gefühle eines anderen Menschen zu empfinden.

Fazit

In der Vergangenheit haben viele Menschen geglaubt, dass Neugeborene praktisch hirnlos sind: winzige Wesen die nur das Überleben im Sinn haben, die von uns abhängig sind, um zu überleben und zu essen. Die erwähnten Studien bestätigen aber, dass neugeborene Babys schon von Natur aus soziale Wesen sind. Sie sind offensichtlich darauf ausgelegt, auf Sprache zu hören, Gesichter zu erkennen und zu identifizieren und einen ansprechbaren Gesprächspartner zu erwarten.

Die wichtigste Lektion für die Praxis ist daher wohl, dass wir uns vor den Annahmen über die Einschränkungen von Babys hüten müssen. Wenn wir davon ausgehen, dass Neugeborene nicht viel mehr brauchen als gefüttert und gewickelt zu werden, verpassen wir womöglich wichtige Möglichkeiten, mit ihnen in Kontakt zu treten.

Auch wenn wir noch vieles im Hinblick auf Babys noch nicht verstehen, unterstützen die Beweise, dass Babys denkende, fühlende Wesen sind.

Studien legen nahe, dass Babys stärkere Beziehungen entwickeln, wenn wir sie wie Wesen mit eigenem Verstand behandeln.

Die Wissenschaft hat auch die vorbeugende Wirkung von guten, einfühlsamen sozialen Interaktionen auf das wachsende System der Stressbewältigung eines Babys nachgewiesen.
Sollten wir uns also irren, dann wäre es besser uns darin irren, das wir unseren Babys mehr zutrauen. Ihnen also zutrauen, dass sie mehr verstehen. Wir haben dabei wenig zu verlieren, denn wer weiß? Zukünftige Studien könnten ergeben, dass wir mit unseren großzügigen Einschätzungen genau richtig lagen.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/liebe-frau-beziehung-niedlich-7282316/

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