Das Arbeitsgedächtnis wird häufig mit dem Arbeitsspeicher in einem Computer verglichen. Je mehr du zur Verfügung hast, desto schneller kannst du Daten verarbeiten. Aber das Arbeitsgedächtnis von Kindern ist kleiner als das von Erwachsenen. Manche Kinder stehen daher vor besonderen Herausforderungen. Aber was steht auf dem Spiel? Woran erkennst du, ob ein Kind Schwierigkeiten hat? Was können wir tun, damit Kinder ein besseres Arbeitsgedächtnis entwickeln? Hier ist ein faktenbasierter Leitfaden.

Was ist das Arbeitsgedächtnis?

Das Arbeitsgedächtnis, auch bekannt als WM (english: Working Memory), ist ein Bündel von Mechanismen, die es uns ermöglichen, einen Gedankengang aufrechtzuerhalten.

Es ist das, was wir nutzen, um Handlungen zu planen und auszuführen – der mentale Bereich, in dem wir Informationen verarbeiten, rechnen und mit unserem “ inneren Auge“ schauen.

  • Kannst du 23 und 69 in Kopf zusammenrechnen?
  • Kannst du dir eine Liste von Lebensmitteln merken, ohne sie aufzuschreiben?
  • Kannst du dich nach einem kurzen Blick am Tisch an die Sitzordnung bei einer Dinnerparty erinnern?

Diese Aufgaben beanspruchen dein Arbeitsgedächtnis, und ob du sie schaffst, hängt von der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses ab, auch WMC (Englisch: Working Memory Capacity) genannt.

Menschen mit einer größeren Kapazität können mehr Informationen auf einmal bewältigen. Das hilft ihnen, Informationen schneller zu verarbeiten, und die Vorteile sind gut dokumentiert. Menschen mit einer überdurchschnittlichen Kapazität des Arbeitsgedächtnisses sind eher in der Lage, gute Leistungen in der Schule zu erzielen.

Als Forscher/innen die Entwicklung von Grundschulkindern verfolgten, stellten sie zum Beispiel fest, dass frühe Fortschritte im Arbeitsgedächtnis spätere Leistungen in Mathematik vorhersagen.

Das Arbeitsgedächtnis ist auch ein Faktor für sprachliche Fähigkeiten, z. B. für die Fähigkeit, die Gedanken in einem langen oder komplizierten Satz zu verfolgen.

Menschen mit einem schlechten Arbeitsgedächtnis sind dagegen im Nachteil. Sie haben eher Schwierigkeiten in Mathematik und beim Lesen. Es kann ihnen auch schwer fallen, mündlichen Anweisungen zu folgen. Es gibt zu viel zu bedenken, und sie verlieren den Überblick über das, was sie tun sollen.


Entwickelt sich das Arbeitsgedächtnis mit der Zeit?

Ja. Als Forscherinnen und Forscher die gleichen Tests zum Arbeitsgedächtnis über verschiedene Altersstufen hinweg durchgeführt haben, fanden sie Hinweise auf eine kontinuierliche Verbesserung, wobei Erwachsene fast doppelt so gut abschnitten wie kleine Kinder.

Bei WM-Aufgaben, bei denen es darum geht, Objekte in einem kurz präsentierten Bildfeld zu verfolgen, erinnern sich Erwachsene zum Beispiel an etwa 3 oder 4 Objekte. Fünfjährige können sich nur an halb so viele Objekte erinnern.

Wie merken wir Probleme mit dem Arbeitsgedächtnis bei Kindern?

Forscher/innen schätzen, dass 10-15% der Kinder im Schulalter mit einer geringen Arbeitsgedächtnisleistung zu kämpfen haben. Wie können wir diese Kinder erkennen?

Eine professionelle Diagnose hängt von der Durchführung spezieller Tests wie der Umfassenden Bewertung des Arbeitsgedächtnisses von Kindern (Comprehensive Assessment Battery for Children – Working Memory, CABC-WM) oder der Automatischen Bewertung des Arbeitsgedächtnisses ab.

Du kannst aber auch auf alltägliche Anzeichen achten. Laut Susan Gatherole und Tracey Alloway (2007) trifft Folgendes auf Kinder mit Schwierigkeiten im Arbeitsgedächtnis zu:

  • Sie haben normale soziale Beziehungen zu Gleichaltrigen;
  • Sie sind bei Gruppenaktivitäten im Klassenzimmer zurückhaltend und beantworten gelegentlich keine direkten Fragen;
  • Sie haben Schwierigkeiten, Anweisungen zu befolgen;
  • Sie verlieren bei komplizierten Aufgaben den Überblick und brechen diese eventuell ab;
  • Sie machen Fehler bei der Ortsbestimmung (Überspringen oder Wiederholen von Schritten);
  • Sie zeigen ein unvollständiges Erinnerungsvermögen;
  • Sie lassen sich leicht ablenken, sind unaufmerksam oder „schweifen ab“;
  • Sie haben Schwierigkeiten bei Tätigkeiten, die sowohl das Speichern (Erinnern) als auch das Verarbeiten (Bearbeiten von Informationen) erfordern.

Hängen Leistung des Arbeitsgedächtnisses und Intelligenz zusammen?

Bedeutet eine geringe Leistung des Arbeitsgedächtnisses, dass ein Kind nicht schlau ist? Und umgekehrt: Bedeutet eine hohe Leistung des Arbeitsgedächtnisses, dass ein Kind hochintelligent ist?

Nein.

Das Arbeitsgedächtnis beeinflusst, wie wir lernen. Es hilft uns, uns zu konzentrieren, wenn es viele Ablenkungen gibt. Es kann einen Einfluss darauf haben, wie gut wir bei Tests abschneiden, einschließlich Leistungstests und IQ-Tests. Aber wir können WM nicht mit der allgemeinen Intelligenz gleichsetzen.

Nehmen wir zum Beispiel die „flexible Intelligenz“ – was Psychologen als „die Fähigkeit, neue Probleme zu durchdenken und zu lösen“ definieren.

Flexible Intelligenz erfordert nicht nur, dass wir uns wichtige Informationen merken können. Sie erfordert auch, dass wir Informationen, die nicht relevant sind, verwerfen – also nicht mehr darüber nachdenken. Wir müssen veraltete Konzepte vergessen, um Platz für neue zu schaffen.

Daher kommt es nicht so sehr auf die Größe des geistigen Notizblocks an, sondern darauf, ob wir diesen Notizblock mit den wichtigsten Informationen füllen. Eine größere WM-Kapazität allein macht dich nicht unbedingt schlauer.

Und dann gibt es noch die Beweise aus IQ-Tests: Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses steht nicht immer im Zusammenhang mit dem IQ.

Manche Kinder erzielen bei IQ-Tests gute Leistungen, haben aber nur mittelmäßige WM-Fähigkeiten. Wie ist das möglich? Tests wie die Wechsler Intelligenzskala für Kinder (WISC) haben verschiedene Untertests. Einige testen gezielt das Arbeitsgedächtnis. Bei anderen ist das nicht der Fall.

Darüber hinaus gibt es Teile der Intelligenz, die in IQ-Tests nicht gemessen werden und die nicht mit der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses korrelieren.

Ein Beispiel ist Vernunft und Logik. Es handelt sich dabei um eine reflektierte Denkweise, die in IQ-Tests nicht berücksichtigt wird. Aber sie ist wichtig, um gute Entscheidungen zu treffen,und es ist nicht eindeutig, dass die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses einen wesentlichen Einfluss darauf hat. In kürzlich durchgeführten Experimenten war die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen mit einem besseren Arbeitsgedächtnis voreingenommene, fehlerhafte Entscheidungen trafen, genauso hoch wie bei anderen Menschen.

Schließlich ist es wichtig zu wissen, dass das Arbeitsgedächtnis kein einheitliches System ist. Es gibt verschiedene Arten des Arbeitsgedächtnisses, und jede Art wird mit verschiedenen Denkprozessen in Verbindung gebracht.

So sagt zum Beispiel das verbale Arbeitsgedächtnis eine bessere Leistung bei sprachlichen Aufgaben voraus, aber nicht bei räumlichen Aufgaben.

Das räumliche Arbeitsgedächtnis (das Auffinden von Gegenständen) steht in Verbindung mit besseren räumlichen Fähigkeiten, aber nicht mit besseren sprachlichen Fähigkeiten.

Eine dritte Art des Arbeitsgedächtnisses – die Fähigkeit, sich visuelle Bilder zu merken – ist mit besonderen Vorteilen verbunden.

Möglicherweise gibt es noch andere Arten des Arbeitsgedächtnisses, wie z. B. die Fähigkeit, sich Reihenfolgen zu merken (z. B. die Reihenfolge, in welcher Gegenstände auf einer Liste erscheinen). Das Arbeitsgedächtnis für „Reihenfolgen“ steht im Zusammenhang mit besseren mathematischen Leistungen.

Unterschiede in der Leistungsfähigkeit hängen also mit Unterschieden in der Kapazität des Arbeitsgedächtnisses zusammen. Aber diese Auswirkungen können sehr spezifisch sein. Ein Kind mit Dyskalkulie (einer mathematischen Lernschwäche) kann zum Beispiel im verbalen Arbeitsgedächtnis normal abschneiden, aber im reihenbezogenen Arbeitsgedächtnis hinterherhinken.


Was ist mit anderen Lernbehinderungen und Entwicklungsstörungen?

Probleme mit dem Arbeitsgedächtnis können es kleinen Kindern erschweren, lesen zu lernen. Und Defizite im verbalen Arbeitsgedächtnis wurden mit Problemen beim Leseverständnis älterer Kinder in Verbindung gebracht.

Auch Kinder mit Autismus haben häufiger Probleme mit dem Arbeitsgedächtnis, wobei Defizite im räumlichen WM verbreiteter sind als Defizite im verbalen Arbeitsgedächtnis.

Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leiden häufiger unter Einschränkungen des verbalen Arbeitsgedächtnisses als Kinder mit normalem Entwicklungsstand.


Was können wir tun, um die Fähigkeiten des Arbeitsgedächtnisses zu steigern? Können wir es durch einfache Gedächtnisübungen verbessern?

Ja, aber nicht unbedingt auf eine Weise, die für schulische Leistungen nützlich ist.

Vielleicht hast du schon von Computerspielen gehört, die das Arbeitsgedächtnis oder sogar den IQ verbessern sollen. Funktionieren sie tatsächlich? Das hängt davon ab, was du mit „funktionieren“ meinst.

Nimm zum Beispiel das von Cogmed entwickelte computerbasierte Trainingsprogramm.

In einer Studie haben Forscher/innen Kinder mit geringer Kapazität des Arbeitsgedächtnisses identifiziert und ihnen eine Reihe von Computerspielen zugewiesen, die ihre WM-Fähigkeiten herausfordern sollten. Einige dieser Spiele waren:

  • Eine Reihe von Buchstaben laut vorgelesen bekommen („G, W, Q, T, F…“) und sie wiederholen.
  • Eine Reihe von Lampen aufleuchten sehen und dann die richtige Reihenfolge durch Anklicken mit einer Computermaus abrufen.
  • Eine Reihe von Zahlen hören und sehen, während sie laut gesprochen werden und auf einer Tastatur aufleuchten. Nach jeder Sequenz wird der Schüler aufgefordert, diese rückwärts wiederzugeben, indem er die richtigen Tasten drückt.

Bei Kindern in der Kontrollgruppe blieb der Schwierigkeitsgrad dieser Aufgaben während der gesamten Studie einfach. Für die Kinder in der Testgruppe wurde das Programm jedoch zunehmend schwieriger, wenn sich ihre Leistung verbesserte.

Nach etwa 6 Wochen Training überprüften die Forscherinnen und Forscher erneut das Arbeitsgedächtnis der Schülerinnen und Schüler, und die Ergebnisse waren ziemlich beeindruckend. Obwohl sich beide Gruppen verbesserten, schnitten die Kinder der Testgruppe viel besser ab. Ihre durchschnittlichen Fortschritte waren 3 bis 4 Mal so hoch wie die der Kontrollgruppe.

Es gab jedoch einen entscheidenden Haken: Die Verbesserungen wurden nur bei Tests festgestellt, die den Trainingsspielen sehr ähnlich waren. Und das war auch bei anderen Studien der Fall.

Durch das Training werden die Menschen besser in den spezifischen Aufgaben, die sie lösen. Aber es scheint nicht dazu beizutragen, dass jemand in anderen Bereichen – wie Lesen oder Mathematik – besser abschneidet.

Die Übertragungseffekte“ haben sich nicht bewahrheitet – nicht in den größten, am besten konzipierten und am sorgfältigsten kontrollierten Studien, die bisher durchgeführt wurden.

Wenn du also daran interessiert bist, die Leistung deines Kindes bei den Spielen zum Arbeitsgedächtnis zu verbessern, dann lohnt sich diese Art des Trainings. Möglicherweise werden wir eines Tages herausfinden, dass diese Lernspiele einen langfristigen Nutzen haben, den die Forscher/innen noch nicht feststellen konnten.

Aber wenn du deinem Kind in der Schule helfen willst, ist es wahrscheinlich sinnvoller, sich auf die Aufgaben zu konzentrieren, die ihm oder ihr zu schaffen machen.

Hat ein Kind Schwierigkeiten in Mathematik, solltest du gezielte Übungen der entsprechenden mathematischen Fähigkeiten machen – wie Zählen, Zahlenverständnis oder Grundrechenarten.

Hat ein Kind Schwierigkeiten beim Lesen, solltest du nach Programmen Ausschau halten, die auf Kinder ausgerichtet sind, die ihre Lese- und Schreibfähigkeiten verbessern müssen.


Wie können wir das Arbeitsgedächtnis sonst noch verbessern?

Wie Susan Gathercole und Tracey Alloway anmerken, können wir Kindern dabei helfen, WM-Einschränkungen auf verschiedene Weise zu überwinden. Zum Beispiel:

  • Indem wir Aufgaben in kleinere Teilschritte aufteilen, sodass die Kinder nur einen Teil auf einmal bewältigen müssen.
  • Die Art und Weise, wie wir kommunizieren, kann so angepasst werden, dass wir nicht zu viel Unterrichtsstoff auf einmal vermitteln und die Kinder regelmäßig daran erinnern, was sie als Nächstes tun müssen.
  • Wir können die Kinder bitten, neue Informationen zu wiederholen, und ihnen helfen, sie mit dem zu verknüpfen, was sie bereits wissen.
  • Wir können sie regelmäßig daran erinnern, was als Nächstes zu tun ist, und sie ermutigen, nachzufragen, wenn sie den Überblick verlieren.
  • Außerdem können wir ihnen beibringen, wie sie ihre eigenen Gedächtnisstützen erstellen und nutzen können – z. B. Notizen machen.

Und die Forschung hat noch weitere Strategien nahegelegt. Um das Beste aus Der Kapazität deines Arbeitsgedächtnisses herauszuholen, musst du verstehen, wie es funktioniert. Was stört es? Mit welchen Methoden können Menschen mehr Informationen in ihrem mentalen Arbeitsbereich unterbringen?

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/bucher-sitzung-schule-studenten-5427996/

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