Räumliches Vorstellungsvermögen ist entscheidend für den Erfolg im MINT-Bereich und in der bildenden Kunst. Was sollten wir also tun, um die räumliche Intelligenz zu verbessern? Studien deuten darauf hin, dass Kinder ihr räumliches Vorstellungsvermögen durch eine Kombination aus Erkundung, Gesprächen über räumliche Zusammenhänge, praktischen Aktivitäten und gezieltem Unterricht verbessern können.

Kann dein Kind ein Objekt vor seinem „inneren Auge“ drehen? Kann es herausfinden, wie es aussehen würde, wenn es um 45 Grad gekippt wäre? 60 Grad? 120 Grad? Kann dein Kind eine Karte benutzen? Kann es den Maßstab der Karte auf Objekte in der realen Welt übertragen?

Diese räumlichen Fähigkeiten – „mentales Drehen“ und “ Maßstäbe erkennen“ genannt – helfen Kindern, über Formen, Winkel und Entfernungen nachzudenken. Sie helfen Kindern auch, klarer und genauer in Bezug auf Mathematik zu denken.

Auch andere räumliche Vorstellungsvermögen, wie die Fähigkeit, sich den Querschnitt eines dreidimensionalen Objekts vorzustellen, sind für viele Bereiche des Problemlösens wichtig. Architekten und bildende Künstler. Biologen und Mediziner. Ingenieure und Geologen. Sie alle profitieren von einem ausgeprägten räumlichen Vorstellungsvermögen.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass das räumliche Vorstellungsvermögen die Leistungen in den MINT-Fächern (Naturwissenschaften, Technik, Ingenieurwesen und Mathematik) vorhersagen kann. Dennoch fördert die traditionelle Schulbildung die Entwicklung dieser Fähigkeiten relativ selten, was beunruhigend ist.

Studien belegen, dass Menschen ihr räumliches Vorstellungsvermögen durch Training verbessern können, manchmal mit bemerkenswerten Ergebnissen. Welche praktischen Möglichkeiten gibt es, diese Erkenntnisse zu nutzen? Wie helfen wir Kindern, ein hervorragendes räumliches Vorstellungsvermögen zu entwickeln? Die Forschung sagt uns Folgendes.

1. Kinder lernen durch aktive Erkundung

Schon Neugeborene zeigen Anzeichen eines räumlichen Vorstellungsvermögens. Babys im Alter von 4 Monaten können sogar bereits gedanklich Gegenstände rotieren.

Doch wie entwickeln sich diese Fähigkeiten? Das geschieht nicht zufällig.

Experimente bestätigen, dass Kinder bei räumlichen Denkaufgaben besser abschneiden, wenn wir ihnen erlauben, Gegenstände zu erkunden und anzufassen.

In einer Studie haben Babys, die zwei Monate lang täglich mit Bauklötzen spielten, ihre Fähigkeit verbessert, die Formen verschiedener Gegenstände zu erkennen.

In einer anderen Studie halfen nur zwei Minuten praktischer Übung den Babys dabei, zu erahnen, wie ein bestimmter Gegenstand aus verschiedenen Blickwinkeln aussehen würde.

Wenn wir möchten, dass Kinder ihre räumliche Intelligenz verbessern, sollten wir sie also dazu ermutigen, sich zu bewegen, Dinge anzufassen und zu basteln.

2. Lektionen aus dem Alltag für räumliches Denken und räumliche Gespräche

Nora Newcombe und Andrea Frick haben ihre Karriere der Erforschung der Entwicklung des räumlichen Denkens gewidmet. Und was empfehlen diese Expertinnen, um das räumliche Vorstellungsvermögen von Kindern zu fördern?

Indem wir Kinder auf die vielen räumlichen Probleme und Rätsel aufmerksam machen, die uns im Alltag begegnen.

Stell Kindern folgende Fragen, sagen Newcome und Frick (2010):

  • Wie passt das Bettlaken auf das Bett?
  • Kommt der linke Schnürsenkel drüber oder drunter – und welcher ist der linke?
  • Passt der Einkauf in die Tüte?
  • Wenn ich mein Brötchen von oben nach unten durchschneide kann ich es dann noch gut belegen?

Diese Fragen bringen Kinder dazu, über die räumlichen Verhältnisse nachzudenken. Dabei lernen sie auch wichtige Wörter wie „unter“ und „über“, „Dreieck“ und „Würfel“ kennen.

Das Lernen solcher Wörter hilft Kindern, über räumliche Verhältnisse nachzudenken, und es kann die Entwicklung des räumlichen Vorstellungsvermögens sogar beschleunigen.

3. Spielen mit Bauklötzen

Gib den Kindern Material zum Bauen und steigere den Enthusiasmus, indem du selbst mitmachst.

Es gibt zahlreiche Beweise dafür, dass Kinder ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen entwickeln, wenn sie mit Bauklötzen und anderem Spielzeug zum Bauen spielen.

4. Strukturiertes Klötzchenspiel

Führe Konstruktionsspiele ein, die die Kinder herausfordern, „das Design nachzuahmen“

Studien deuten darauf hin, dass eine bestimmte Form des Klötzchenspiels, das sogenannte strukturierte Klötzchenspiel, besonders nützlich sein kann. Dabei bekommen die Kinder einen Bauplan gezeigt und müssen ihn mit Klötzen nachbauen.

In Experimenten zeigten 8-jährige Kinder nach nur fünf 30-minütigen Spielsitzungen bereits messbare Verbesserungen ihrer mentalen Rotationsfähigkeiten.

Nach dem Training zeigten die Kinder auch Veränderungen in der Gehirnaktivität, was darauf hindeutet, dass das Spielen mit Bauklötzen die Art und Weise, wie sie räumliche Informationen verarbeiten, verändert hat.

Du kannst dein eigenes Spiel mit Holzklötzen oder ineinander greifenden Plastikklötzen (wie Lego oder Mega Bloks) zu Hause durchführen.

Egal für welches Medium du dich letztlich entscheidest, vergiss nicht, ständig mit deinen Kindern im Gespräch zu bleiben. Konstruktionsspiele nach dem Motto “ Baue den Entwurf“ können auch deshalb hilfreich sein, weil sie das Gespräch über räumliche Zusammenhänge anregen.

5. Bringe den Kindern bei, wie man Formen und Diagramme zeichnet

Lehrerinnen und Lehrer wissen schon lange, dass Zeichnen eine hervorragende Methode zum Lernen ist. Wenn wir unsere eigenen Vorstellungen einer Struktur, eines Systems oder eines Konzepts entwickeln, verstehen wir es besser.

Das gilt für das Erlernen wissenschaftlicher Konzepte und auch für räumliche Konzepte. Es ist viel einfacher für Kinder, etwas über Formen zu lernen, wenn sie selbst geübt haben, diese Formen zu zeichnen! Und die Vorteile des Zeichnens bleiben ein Leben lang erhalten.

In einer Studie fanden Forscher/innen heraus, dass Schüler/innen dreidimensionale Diagramme besser verstanden, nachdem sie ihre eigenen dreidimensionalen Skizzen zeichneten.

Doch nicht alle Schüler profitieren in gleichem Maße vom Erstellen von Skizzen und Diagrammen. Es kommt dabei auch auf die Qualität der Skizzen an.

Schüler müssen die Grundlagen des Zeichnens erlernen. Sie brauchen eine Anleitung, um zu wissen, auf welche Merkmale sie achten sollten, wenn sie eine Skizze erstellen. Zudem müssen sie lernen, wie man einfache zweidimensionale und dreidimensionale Formen zeichnet. Sie müssen lernen, wie man zeichnet.

Erhalten die Schüler/innen diese Art von Unterstützung, lernen sie mehr. Forscherinnen und Forscher haben zum Beispiel herausgefunden, dass Grundschülerinnen und Grundschüler mehr über Naturwissenschaften lernen, wenn man sie bei der Erstellung naturwissenschaftlicher Zeichnungen anleitet.

Grundlegende Zeichenfähigkeiten sollten also Teil der Bildung eines Kindes sein und nicht vernachlässigt werden. Man muss kein Van Gogh sein, um zu lernen, wie man einen Würfel zeichnet, ein Kreisdiagramm erstellt oder ein Funktionsdiagramm des Kreislaufsystems skizziert. Es braucht nur ein wenig Anleitung und Übung.

6. Die gedankliche Rotation

Gib den Kindern ausdrückliche Anweisungen zur gedanklichen Rotation

Was können wir unseren Kindern noch beibringen? Können wir sie aktiv durch den Prozess der gedanklichen Rotation leiten? Können wir ihnen helfen, sich vorzustellen, wie Formen aussehen, wenn sie gedreht werden?

Ja. Das haben Katie Gilligan und ihre Kollegen nachgewiesen. Die Forscherinnen und Forscher haben ein kurzes Lehrvideo erstellt, in dem sie zeigen, wie man das mentale Drehen übt.

Anschließend testeten sie die Wirksamkeit dieses Videos in einer experimentellen Studie mit 8-Jährigen.

Was geschah?

Nach dem aufmerksamen Anschauen nur eines Lehrvideos waren die Kinder deutlich besser in der mentalen Rotation.

Im Vergleich zu den Kindern einer Kontrollgruppe zeigten diese Kinder auch Verbesserungen in mindestens einer mathematischen Fähigkeit: Sie verbesserten ihre Fähigkeit, Probleme mit „fehlenden Gliedern“ oder einfache Algebra zu lösen („3 + ? = 4“).

7. Ermutige die Kinder, Karten zu benutzen und zu erstellen

Welche Art von Karten? Ich spreche an dieser Stelle nicht von Weltkarten oder Landkarten, obwohl es natürlich wichtig ist, dass Kinder lernen, wie man solche Karten verwendet.

Ich spreche vielmehr von Karten der Orte, in denen sich Kinder täglich aufhalten.

Es hat sich herausgestellt, dass selbst kleine Kinder schon in der Lage sind, sich mit solchen Karten vertraut zu machen.

Experimente haben zum Beispiel gezeigt, dass 4-Jährige lernen können, eine Karte des Grundrisses ihres Wohnzimmers zu deuten. Sie können die Karte nutzen, um einer anderen Person zu zeigen, wo im Zimmer sie ein Spielzeug versteckt haben.

Und ältere Kinder können schwierigere Aufgaben bewältigen.

In einer Studie mit amerikanischen Viertklässler/innen bekamen die Kinder zum Beispiel unvollständige Karten ihres Schulhofs und sollten

(1) nicht gekennzeichnete Elemente auf dem Schulhof ausfindig machen (z. B. einen Fahnenmast) und dann

(2) diese Elemente auf der Karte ergänzen – indem sie einen Aufkleber auf der Karte anbringen.

Einige Kinder waren schon beim ersten Durchgang in der Lage ziemlich genaue Angaben zu machen. Andere Kinder lagen weit daneben.

Wie können wir Kindern helfen, sich zu verbessern? Die selbe Studie gibt eine Antwort: Mach die Kinder auf räumliche Begebenheiten aufmerksam, indem du sie bittest, ihre Entscheidungen zu begründen.

In einer anderen Variante der Aufgabe baten die Forscher/innen die Kinder, die Anhaltspunkte und Bezugspunkte aufzuschreiben, anhand derer sie entscheiden, wo die Aufkleber auf der Karte hingehören. Dieser zusätzliche Schritt verbesserte die Genauigkeit der Kinder.

Dieses Ergebnis deckt sich mit anderen Studien: Kinder lernen besser, wenn sie erklären müssen, wie sie Probleme lösen.

8. Origami fördert räumliches Vorstellungsvermögen

Hast du dir schon einmal überlegt, welche Schritte nötig sind, um aus einem einfachen Stück Pappe einen Karton zu bauen? Oder versucht, vorherzusagen, wie ein Blatt Papier nach dem Falten aussieht?

Menschen, die solche Aufgaben – das Falten vor dem inneren Auge – gut bewältigen können, haben ein ausgeprägtes räumliches Vorstellungsvermögen. Besonders interessant ist aber, dass die Fähigkeit zum „mentalen Falten“ die Leistungen eines Schülers oder einer Schülerin in MINT-Fächern beeinflusst.

So ergab eine Studie mit britischen Grundschüler/innen, dass Kinder mit einer stärker ausgeprägten Fähigkeit des gedanklichen Faltens bei Prüfungen in Biologie, Physik und Chemie besser abschnitten.

Forscherinnen und Forscher vermuten, dass sie die Fähigkeit zum mentalen Falten steigern können, indem sie Kinder mit dem Training in Origami – der traditionellen japanischen Kunst des Faltens von Papier – vertraut machen. In einer vorläufigen Studie verbesserten Schulkinder ihre Leistung bei einer sehr anspruchsvollen Aufgabe zum geistigen Falten bereits nach wenigen Stunden Origamiunterricht.

9. Tangram und andere räumliche Puzzlespiele

Ich habe noch keine kontrollierten Experimente gesehen, in denen die Auswirkungen von Tangrammen oder Puzzles auf die Entwicklung des räumlichen Vorstellungsvermögens untersucht wurden. Doch es scheint ziemlich naheliegend zu sein, dass auch die Fähigkeit, Rätsel zu lösen, und die räumliche Intelligenz miteinander verbunden sind.

In einer Studie haben Forscherinnen und Forscher das Verhalten von Kleinkindern ab dem zweiten Lebensjahr beobachtet und dann die räumlichen Fähigkeiten der Kinder im Alter von viereinhalb Jahren getestet. Je häufiger die Kinder mit Puzzles spielten, desto wahrscheinlicher war es, dass sie die Studie mit hohen Testergebnissen abschlossen.

Der amerikanische Verband der Mathematiklehrer/innen (National Council of Teacher’s Mathematics) befürwortet die Verwendung von Tangram, um räumliches Vorstellungsvermögen zu lehren.

10. Experimente mit Fotografie

Nora Newcombe weist darauf hin, dass die Fotografie Kinder dazu anregt, mit verschiedenen Perspektiven und unterschiedlichen Maßstäben zu experimentieren.

11. Action-Spiele und Tetris

Wir hören oft Beschwerden über Computerspiele. Viele machen sich Sorgen über die Auswirkungen von Spielen mit gewalttätigen Inhalten. Und es ist sicherlich möglich, dass man zu viel Zeit mit Computerspielen verbringt und sich hierdurch einige Probleme bei den Kindern entwickeln. Kinder können ihre Schularbeiten vernachlässigen, zu wenig schlafen und die wichtigen Vorzüge des Spielens an der frischen Luft verpassen.

Computerspiele können aber auch ein hervorragendes Lernmittel sein. Bestimmte Arten von Spielen können das räumliche Vorstellungsvermögen der Spieler/innen verbessern.

Eine dieser Arten ist der sogenannte „Ego-Shooter“.

Wie ich an anderer Stelle erkläre, haben junge Erwachsene mit einem schwachen räumlichen Vorstellungsvermögen nach dem Spielen solcher Spiele erhebliche Fortschritte gemacht.

Sind die Spiele gewalttätig? Normalerweise schon. Aber es sind die räumlichen Informationen, nicht die Gewalt, die diese Spiele für das räumliche Training so nützlich machen. Es gibt auch gewaltfreie Spiele, die mit den selben Perspektiven arbeiten wie Ego-Shooter-Spiele.

Ein weiteres nützliches Videospiel ist Tetris.

In einem Experiment mit Studenten baten Melissa Terlecki und Kolleg/innen (2008) die Studenten, wöchentliche Tests zur mentalen Rotation zu lösen. Zusätzlich wurden einige Schüler nach dem Zufallsprinzip dazu bestimmt, jede Woche eine Stunde lang Tetris zu spielen. Andere Schüler/innen sollten ein nicht räumliches Computerspiel (Solitaire) spielen.

Am Ende der zwölf Wochen hatten sich beide Gruppen bei der mentalen Rotationsaufgabe stark verbessert.

Aber im Vergleich zu den Schüler/innen, die nicht spielten, zeigten die Schüler/innen mit dem zusätzlichen Tetris-Training auch Übertragungseffekte – Verbesserungen bei anderen, damit verbundenen Tests zum räumlichen Denken. Diese Verbesserungen zeigten sich auch noch, als die Schüler/innen 2-4 Monate später erneut getestet wurden.

12. Ermutige Kinder dazu, beim Lösen räumlicher Probleme Gesten zu verwenden

Erwachsene und Kinder neigen dazu, Probleme leichter zu lösen, wenn sie gestikulieren.

In einem Experiment waren Menschen zum Beispiel eher in der Lage, gedankliche Rotationsaufgaben zu lösen, wenn sie dazu aufgefordert wurden, ihre Hände zu benutzen.

Und in einer anderen Studie fanden 5-Jährige, die beim Lösen räumlicher Aufgaben gestikulierten, mit größerer Wahrscheinlichkeit die richtige Antwort.

Und zum Schluss noch ein wichtiger Hinweis: Stell dich auf langsame Fortschritte ein!

Nora Newcombe (2010) betont, dass sich Schüler/innen mit schlechtem räumlichen Vorstellungsvermögen oft zunächst nur langsam verbessern.

Wenn du also mit dem Training des räumlichen Vorstellungsvermögens beginnst, lass dich nicht entmutigen, wenn dein Kind nicht sofort Fortschritte macht. Es kann 6 Trainingseinheiten oder länger dauern, bis du einen Unterschied bemerkst.

Bildquelle: https://unsplash.com/photos/Z9AU36chmQI

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