Räumliche Intelligenz ist für viele Aktivitäten entscheidend, wird aber in der Schule oft vernachlässigt. Können wir das visuell-räumliche Vorstellungsvermögen verbessern? Studien zeigen, dass das möglich ist. Folgendes solltest du zur räumlichen Intelligenz wissen.

Was ist räumliche Intelligenz?

Räumliche Intelligenz oder visuell-räumliches Vorstellungsvermögen wird definiert als „die Fähigkeit, gut strukturierte visuelle Bilder zu erzeugen, zu bewahren, abzurufen und zu verändern“.

Wir brauchen räumliche Intelligenz, wenn wir uns Bilder in unserem „geistigen Auge“ vorstellen.

Es ist die Denkleistung, die Architekten und Ingenieure vollbringen, wenn sie Gebäude entwerfen. Es ist die Fähigkeit, die es einem Chemiker oder einer Chemikerin erlaubt, die dreidimensionale Struktur eines Moleküls zu betrachten, oder einem Chirurgen bzw. einer Chirurgin, sich im menschlichen Körper zurechtzufinden.

Michelangelo verwendete sie, als er sich eine zukünftige Statue vorstellte, die in einem Felsbrocken versteckt war.

Es ist auch die Denkweise, die wir verwenden, um uns verschiedene visuelle Perspektiven auszumalen. Sind diese beiden Formen unterschiedlich? Oder sind sie identisch und nur anders angeordnet?

Diese Frage ist ein klassischer gedanklicher Rotationstest – ein Test, mit dem Forscher/innen das visuell-räumliche Vorstellungsvermögen beurteilen. Bei einem anderen Test zur räumlichen Intelligenz wird eine Figur aus Bauklötzen dargestellt, und die Testteilnehmer/innen sollen eine möglichst genaue Kopie erstellen.

Solche Fähigkeiten sind jedoch nur ein Teilaspekt der allgemeinen Intelligenz eines Menschen. Studien deuten jedoch darauf hin, dass räumliches Denken ein wichtiger Faktor für den Erfolg in MINT-Fächern (Naturwissenschaften, Technik, Ingenieurwesen und Mathematik) ist.

Ein Beispiel:

  • Vorschulkinder, die sich räumliche Zusammenhänge besser vorstellen können, entwickeln in der Grundschule bessere Rechenfähigkeiten.
  • Schüler/innen der Mittelstufe, die gut im mentalen Rotationsverfahren sind, erzielen mit größerer Wahrscheinlichkeit bessere Leistungen in naturwissenschaftlichen Fächern.

Jugendliche mit hervorragendem räumlichen Vorstellungsvermögen haben auch bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz in der bildenden Kunst oder in der Wirtschaft.

Es gibt sogar Hinweise darauf, dass das räumliche Vorstellungsvermögen die Lesefähigkeit eines kleinen Kindes vorhersagt.

Räumliches Vorstellungsvermögen ist also wichtig. Doch können wir auch etwas tun, um unser räumliches Vorstellungsvermögen zu verbessern?

Die Antwort lautet ja. Wir können eine Menge tun.

Aber woher wissen wir, dass es möglich ist? Werfen wir einen genaueren Blick auf die Wissenschaft des räumlichen Trainings.

Ist räumliche Intelligenz genetisch bedingt?

Menschen gehen oft davon aus, dass räumliche Intelligenz eine genetisch bedingte Begabung ist, die man entweder hat oder nicht hat. Diese Einstellung könnte zum Teil auf die festgestellten Unterschiede zwischen den Geschlechtern zurückzuführen sein.

Zahlreiche Studien belegen, dass Männer über bessere Fähigkeiten zur gedanklichen Rotation verfügen. Es gibt auch Hinweise darauf, dass das räumliche Vorstellungsvermögen mit der Menge an Testosteron zusammenhängt, die ein Fötus im Mutterleib erfährt.

In einem kürzlich durchgeführten Experiment mit 42 Frauen fanden Forscher/innen heraus, dass sie die mentalen Rotationsfähigkeiten zeitweise steigern konnten, indem sie ihnen eine einzige kleine Dosis Testosteron verabreichten.

Doch unabhängig davon, ob der Unterschied zwischen den Geschlechtern bei der gedanklichen Rotation durch Hormone beeinflusst wird oder nicht, gibt es eindeutige Beweise dafür, dass Menschen ihr räumliches Vorstellungsvermögen durch Übung verbessern können.

Und die Ergebnisse können beeindruckend sein:

Nach einer relativ kurzen Zeit des Trainings (von einigen Stunden bis zu einigen Wochen) verbessern Menschen beiderlei Geschlechts ihre Fähigkeiten.

Und der Unterschied zwischen den beiden Geschlechtern?

Er wird kleiner oder verschwindet vollständig.

Das legt nahe, dass wir das räumliche Denken durch Anstrengung und Übung verbessern können. Wie sieht dieses Training eigentlich aus?

Wie kann man die räumliche Intelligenz verbessern?

Ein Beispiel für ein Training, das funktioniert, ist die Studie von Rebecca Wright und ihren Kolleg/innen. Die Forscher/innen rekrutierten 38 junge Erwachsene in Harvard. Etwa 50 % von ihnen waren weiblich – die sie an zwei Aufgaben testeten:

  • gedankliche Rotation und
  • eine Aufgabe zum mentalen Falten eines Papiers, bei der die Teilnehmer/innen eine Papiervorlage mental „falten“ und ihr Aussehen vorhersagen mussten.

Zu Beginn des Tests gab es Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Frauen machten mehr Fehler bei der räumlichen Rotationsaufgabe. Die Männer machten mehr Fehler bei dem gedanklichen Papierfalten.

Aber nach 21 Tagen des täglichen Trainings (Üben jeder Art von Aufgabe) wurden alle besser. Und die Fehlerquoten glichen sich an. Männer und Frauen waren nun bei beiden räumlichen Aufgaben gleich gut.

Ähnliche Ergebnisse wurden in anderen Experimenten erzielt, bei denen Erwachsene nach dem Zufallsprinzip durch das Spielen bestimmter Action-Videospiele räumliche Fähigkeiten trainieren sollten.

Eine wichtige Studie ergab, dass sich die visuelle Aufmerksamkeit und die mentalen Rotationsfähigkeiten von Studierenden nach nur 10 Stunden Spielzeit in einem dreidimensionalen Ego-Shooter-Spiel verbesserten. Insgesamt erzielten Frauen die größten Fortschritte und behielten diese nach fünf Monaten bei.

Förderung der räumlichen Intelligenz bei Kindern

David Tzuriel und Gila Egozi testeten die mentalen Rotationsfähigkeiten von 116 Erstklässler/rinnen (Durchschnittsalter: 6,5 Jahre). Sie teilten etwa die Hälfte von ihnen nach dem Zufallsprinzip einem Trainingsprogramm zu, das den Kindern helfen sollte, geometrische Formen vor ihrem „inneren Auge“ zu betrachten, zu verändern und im Auge zu behalten.

Die anderen Kinder wurden einem alternativen, nicht räumlichen Training zugewiesen.

Zu Beginn der Studie schnitten die Jungen besser ab als die Mädchen. Aber nach nur 8 wöchentlichen Sitzungen hatten die Mädchen mit dem Trainingsprogramm für räumliche Fähigkeiten aufgeholt. Der Geschlechterunterschied war verschwunden.

Eine andere experimentelle Studie ergab, dass ein kurzes räumliches Training die Leistungen eines Kindes in Mathematik verbessern kann.

Nach einer einzigen 20-minütigen Übungseinheit mit mentalen Rotationsrätseln erzielten Kinder (im Alter von 6 bis 8 Jahren) bei einem Mathetest bessere Ergebnisse als Gleichaltrige in der Kontrollgruppe.

Die mit dem Training befassten Schüler wurden besonders gut bei algebraischen Aufgaben wie „2 + ? = 7“. Die Forscher/innen vermuten, dass es den Kindern durch das räumliche Training leichter fiel, diese Gleichungen in einem vertrauten Format zu visualisieren und umzustellen (z. B. „7 – 2 = ?“).

Außerdem gibt es immer mehr Forschungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass Kinder ihre räumlichen Fähigkeiten verbessern können, indem sie strukturiert mit Bauklötzen spielen. Die Art von Spiel, bei der Kinder Strukturen nach einem Modell oder einem Bauplan nachbilden.


Förderung der räumlichen Intelligenz Spielen

In einer Studie teilten Sharlene Newman und ihre Kollegen 28 Kinder (im Alter von 8 Jahren) in eine von zwei Trainingsgruppen ein.

  • Die Hälfte der Kinder nahm an fünf 30-minütigen Sessions mit strukturiertem Klötzchenspiel teil.
  • Die anderen Kinder verbrachten die gleiche Zeit mit dem Wortspiel „Scrabble“.

Vor und nach dem Training untersuchten die Forscherinnen und Forscher die Gehirne der Kinder (mit fMRT-Technologie), während die Kinder mentale Rotationsaufgaben lösten. Wie veränderten sich die Leistungsfähigkeit und die Gehirnaktivität nach dem Training?

Im Gegensatz zu den Kindern in der „Scrabble“-Kontrollgruppe zeigten die Kinder, die am strukturierten Klötzchenspiel teilgenommen hatten, statistisch bedeutsame Verbesserungen bei Reaktionszeit und Genauigkeit.

Außerdem veränderte sich ihre Hirnaktivität zwischen dem ersten und zweiten Hirnscan. Nach dem Training zeigten sie mehr Aktivität in Gehirnregionen, die mit der räumlichen Verarbeitung und dem räumlichen Arbeitsgedächtnis zusammenhängen.

Es gibt also gute Belege dafür, dass Übung das räumliche Vorstellungsvermögen fördert, was erklären könnte, warum das Bauspiel mit dem räumlichen Vorstellungsvermögen von Kindern in Verbindung gebracht wird. Aber das ist noch nicht alles. Es scheint, dass Kinder auch von Gesprächen profitieren.


Förderung des räumlichen Intelligenz bei Kindern durch Gespräche

Menschen fällt es oft leichter, über ein Konzept nachzudenken, wenn sie ein Wort dafür haben. Natürlich schenken Kinder einer Sache mehr Aufmerksamkeit, wenn wir sie in ein Gespräch darüber verwickeln. Können wir also Kindern helfen, indem wir sie in sinnvolle Gespräche über räumliche Zusammenhänge verwickeln?

Studien bestätigen dies.

Erstens gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen räumlicher Intelligenz und dem räumlichen Wortschatz. In einer Studie konnten Kindergartenkinder, die mehr räumliche Wörter (wie zwischen, über, unter und nahe) kannten, Strukturen mit Bauklötzen besser nachbilden. Dies galt selbst dann, wenn man den allgemeinen Wortschatz des Kindes berücksichtigte. Das deutet darauf hin, dass räumliche Begriffe den Kindern helfen, dreidimensional zu denken.

Zweitens gibt es Hinweise darauf, dass Kinder bei räumlichen Aufgaben besser abschneiden, wenn wir ihnen hilfreiche Wörter zur Verfügung stellen. Schau dir zum Beispiel dieses Experiment von Jeffrey Loewenstein und Dedre Gentner an:

Ein Kind sieht zwei kleine Bücherregale mit jeweils drei Fächern und drei Verstecken.

Vor den Augen des Kindes versteckt ein Erwachsener eine besondere Karte („den Gewinn“) in einem Regal des weißen Bücherregals und erklärt anschließend auf zwei Weisen, wo sie die Karte versteckt hat:

  1. indem er auf die Karte zeigt und sagt: „Ich habe den Gewinn genau hier hingelegt“, oder
  2. indem es räumlich spricht: „Ich stelle den Gewinn in das mittlere Regal“.

Als Nächstes schließt das Kind seine Augen, während der Erwachsene eine weitere Karte in einem blauen Bücherregal versteckt. Wenn es die Augen öffnet, soll es die zweite Karte „an der gleichen Stelle“ im blauen Bücherregal finden.

Das ist ein einfacher Test für analoges Zuordnen. Doch erstaunlicherweise hatten die meisten 3-Jährigen Schwierigkeiten, wenn der Erwachsene nur auf sie zeigte und sagte: „Ich habe den Gewinn hierher gelegt.“

Im Gegensatz dazu schnitten die Kinder deutlich besser ab, wenn sie die Anweisungen mit räumlicher Sprache erhielten.

Und wie sieht es mit der langfristigen kognitiven Entwicklung aus? Shannon Pruden und ihre Kollegen gingen dieser Frage nach, indem sie 52 Kleinkinder ab einem Alter von 14 Monaten beobachteten.

In einer Reihe von Experimenten beobachteten die Forscher/innen Familien beim Spielen und maßen, wie viele räumliche Wörter die Eltern mit ihren Kindern nutzten. Sie zeichneten auch die Anzahl der räumlichen Wörter auf. Wenn die Kinder Wörter wie Kreis, Dreieck, hoch, leer, Linie, Ende und klein sagten.

Als die Kinder 54 Monate alt waren, führten die Forscher/innen verschiedene nonverbale Tests zur räumlichen Intelligenz durch, darunter auch eine kindgerechte Variante der räumlichen Rotationsaufgabe.

Es stellte sich heraus, dass die Kinder, die viele räumliche Wörter gehört hatten und selbst viel räumliche Sprache verwendeten, bessere Testergebnisse erzielten.

Dieser Effekt war nicht sehr ausgeprägt und in der Studie wurde die genetische Veranlagung nicht berücksichtigt. Es kann sein, dass Eltern und Kinder gemeinsame Gene haben, die dafür sorgen, dass sie eher räumlich sprechen und bei Tests zur räumlichen Intelligenz gut abschneiden.

Die Forscherinnen und Forscher kontrollierten jedoch den gesamten Sprachgebrauch der Eltern, so dass es nicht nur darum ging, dass Kinder besonders gesprächiger Eltern bessere räumliche Fähigkeiten entwickelten.

Die Art des Gesprächs spielte eine Rolle, was durchaus nachvollziehbar ist: Ein umfangreicher Wortschatz mit räumlichen Begriffen könnte Kinder dazu bringen, den räumlichen Informationen, denen sie begegnen, mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Und diese gesteigerte Aufmerksamkeit sollte den Kindern beim Lernen helfen.

Erhält jedes Kind den gleichen Vorteil durch die Umwelt? Offensichtlich nicht.

In einer zweiten Studie, die von Pruden und Susan Levine durchgeführt wurde, konnten die Forscher zum Beispiel eine Abweichung zwischen den Geschlechtern bei der Art des Gesprächs zwischen Eltern und ihren Babys feststellen.

Jungen hörten mehr räumliche Gespräche als Mädchen und diese Verzerrung schien sich später, als die Kinder 3 bis 4 Jahre alt waren, bemerkbar zu machen.

In dem Maße, wie Mädchen in diesem Alter weniger räumliches Vokabular benutzten, wurde die Auswirkung „vollständig durch den früheren räumlichen Sprachgebrauch der Eltern beeinflusst“.

Das mag enttäuschend klingen. Verweigern wir Kindern die Möglichkeit, sich zu entwickeln, weil wir unter dem Einfluss kultureller Vorurteile stehen – Vorurteile, die uns vielleicht nicht einmal bewusst sind?

Womöglich. Aber die Lage ist alles andere als hoffnungslos. Die Forschung zeigt, dass wir unser Verhalten mit bewusster Anstrengung ändern können.

Experimente zeigen zum Beispiel, dass es ausreicht, Eltern an die Bedeutung der räumlichen Sprache zu erinnern, damit sie ihren Kindern mehr räumliche Sprache und Hinweise geben.

Es gibt also guten Grund zu der Annahme, dass wir Kindern helfen können, bessere räumliche Fähigkeiten zu entwickeln, indem wir unsere Fähigkeiten in Gesprächen verbessern. Nutze die alltäglichen Gelegenheiten, um über räumliche Beziehungen zu sprechen. Und denk daran:

Es geht nicht darum, dass ein Kind so viele räumliche Begriffe wie möglich lernt, sondern darum, dass es ein gutes Verständnis dafür entwickelt, wie Formen bewegt, verändert und zusammengefügt werden können.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/junge-der-holzerne-hausminiatur-macht-2387917/

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