Was ist eine Kolik?

  • „Säuglingskolik“ ist der Begriff, den Ärzte für übermäßiges Weinen und Unruhe benutzen, für die es keine offensichtliche Ursache gibt.
  • Um eine Diagnose zu stellen, verwenden viele Ärzte die „3er-Regel“, die besagt, dass ein Baby als kolikartig gilt, wenn es „gesund und gut genährt“ ist, jedoch an mehr als drei Tagen in der Woche länger als drei Stunden pro Tag unter Gereiztheit, Unruhe oder Weinen leidet.
  • Die Betreuung eines solchen Babys kann sehr belastend und frustrierend sein, doch Ärzte raten den Eltern, sich vor Augen zu halten: Die Beschwerden können bald abklingen. Meistens tritt das Problem etwa 2 Wochen nach der Geburt auf und bessert sich bis zum 4-6 Monat.
  • Die Ärzte betonen auch, dass Koliken in der Regel nicht mit ernsthaften gesundheitlichen Problemen verbunden sind.

Diese Tatsache ist zwar beruhigend, aber Koliken verschwinden deswegen nicht von alleine und es ist wichtig, die Auswirkungen, die Koliken auf Familien haben können, nicht zu beschönigen.

Auswirkungen von Koliken auf Familien

Gestresste, erschöpfte Eltern machen manchmal furchtbare, tragische Fehler. Studien deuten darauf hin, dass unstillbares Weinen ein Auslöser für das Schütteln des Babys ist, was zu einem Kopftrauma und Gehirnschäden führen kann.

Außerdem können Koliken die psychische Gesundheit der Eltern gefährden und die familiären Beziehungen schädigen. Eltern, deren Babys unter Koliken leiden, haben ein höheres Risiko, depressiv zu werden. Und wenn Eltern depressiv sind, besteht für Babys ein höheres Risiko, eine instabile Beziehung zu ihren Eltern zu entwickeln, weil diese mit Gefühlen der Hilflosigkeit, Wut oder Ablehnung zu kämpfen haben.

Du bist nicht allein

Als Elternteil, das mit Koliken seines Babys zu kämpfen hat, hast du es also verdient, ernst genommen zu werden. Du solltest auch wissen, dass du kein Einzelfall bist.

Koliken treten bei gestillten und mit Säuglingsmilch gefütterten Babys auf. Sie treten sowohl bei Babys auf, die vor dem Stichtag geboren wurden, als auch bei solchen, die während der Geburt voll ausgereift waren. Die Belastung durch Zigarettenrauch ist ein Risiko, aber Koliken treten auch bei Babys von Nichtrauchern auf.

Koliken treten weltweit auf, von China bis zu den Vereinigten Staaten, von Indien bis Brasilien, von Deutschland bis Nigeria, von Portugal bis zum Iran.

Doch was ist da los? Warum weinen und strampeln die Babys so viel? Was sind eigentlich Koliken aus physiologischer Sicht und im Hinblick auf die Gesundheit und das Wohlbefinden eines Babys?

Zunächst wollen wir uns ansehen, wie ein normales Ausmaß an Weinen und Aufregung aussieht.

Normales Weinen von einer Kolik unterscheiden

Alle gesunden, Babys weinen und strampeln – manchmal untröstlich und mitunter ohne erkennbaren Grund. In der Regel tritt das Weinen eher am späten Nachmittag und abends auf.

Außerdem scheint es, dass die meisten gesunden Babys nach einem bestimmten Schema weinen.

Dieter Wolke hat zum Beispiel Studien aus Europa, Nordamerika, Australien und Japan ausgewertet und festgestellt, dass Babys weltweit dazu neigen, in den ersten 6 Wochen nach der Geburt viel zu weinen. In den ersten 5-6 Wochen nach der Geburt weinten die Babys im Durchschnitt etwa 130 Minuten pro Tag. Aber 25 % der Babys weinten drei oder mehr Stunden am Tag.

Mit 10-12 Wochen hingegen war die durchschnittliche Dauer des Weinens auf unter 70 Minuten pro Tag gesunken. Nur 0,6 % der Babys in diesem Alter weinten mehr als 3 Stunden am Tag.

Dies ist also das normale Verhaltensmuster für Babys in westlichen Ländern und Japan: Am Anfang wird viel geweint, aber nach 6 Wochen klingt es ab. Studien zeigen, dass dies auch in anderen Ländern der Fall ist, einschließlich einiger Jäger- und Sammlervölker.

Was ist also eine Kolik? Wo sollten wir die Grenze zwischen normal und abnormal ziehen?

Ursprünglich bezog sich das Wort „Kolik“ auf Schmerzen im Bereich des Dickdarms (Kolon). Ein Baby als „kolikartig“ zu bezeichnen, bedeutete also, dass man glaubte, das Baby habe Schmerzen, wahrscheinlich wegen einer Erkrankung des Magen-Darm-Trakts.

Später, in den 1950er Jahren, haben Studien die Vermutung widerlegt, dass Babys, die viel weinen, Probleme mit dem Darm haben. Die Forscher/innen konnten keine Beweise dafür finden, dass kolikartige Babys mehr Blähungen oder mehr Durchfall und Verstopfung hatten.

Deshalb fingen viele Ärzte und Ärztinnen an, das Wort „Koliken“ auf eine neue Art und Weise zu verwenden – eine, die keinerlei Bezug auf die Ursache hatte. Sie machten sich insbesondere die „3er-Regel“ zu eigen, welche den Bezug zu Bauchschmerzen oder zu Schmerzen jeglicher Art ausschließt. Stattdessen wird darauf geachtet, wie lange Babys weinen, und eine Grenze festgelegt, wann es „zu viel“ ist.

Wenn dein Baby etwas weniger als drei Stunden am Tag weint, unterscheidet es sich dann grundlegend von einem Baby, das länger als drei Stunden am Tag weint? Es gibt keinen Grund, das anzunehmen. Der Grenzwert ist willkürlich gewählt.

Zudem hängt die Einschätzung, ob ein Baby „zu viel“ weint, nicht nur von der Zeit ab, die es weint, sondern auch von der Zuwendung, die es erhält. Wir halten das Weinen eines Babys eher für „übermäßig“ , wenn seine Eltern aufmerksam, einfühlsam und zugewandt sind.

Deshalb denke ich, dass ein wichtiger Anhaltspunkt für Koliken ist, dass das kolikartige Baby wesentlich schwieriger zu beruhigen ist.

Die Wissenschaft unterstützt diese Idee. Babys mit Koliken weinen nicht öfter als andere Babys. Aber wenn sie einmal anfangen zu weinen, dauert es viel länger, bis sie sich beruhigen, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich nicht trösten lassen, ist höher.

Außerdem legen Studien nahe, dass kolikartige Babys sich über viele Kleinigkeiten aufregen, die anderen Babys nichts ausmachen. Manche Neugeborenen reagieren sehr empfindlich darauf, wenn man sie auszieht, anfasst oder hinlegt, wodurch diese Babys eher zu Koliken neigen.

Was löst also Koliken aus?

Es gibt keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Laut Definition ist „Kolik“ ein Sammelbegriff für unerklärliches, übermäßiges Weinen. Unterschiedliche Babys können aus den verschiedensten Gründen weinen.

Weitere Gründe für übermäßiges Weinen bei Babys

Krankheit oder Schmerzen

Auch wenn dein Baby ansonsten gesund scheint, kann es sein, dass es Schmerzen hat oder an einer bislang unentdeckten Krankheit leidet. Deshalb ist es wichtig, auf mögliche Symptome von Krankheiten zu achten.

Hat dein Baby Durchfall? Verstopfung? Eine Harnwegsinfektion? Dies sind typische Probleme, die du unbedingt überprüfen solltest.

Reagiert dein Baby möglicherweise allergisch auf etwas in der Muttermilch? Oder auf die Säuglingsmilch? Ist es möglich, dass dein Baby an einer Kuhmilchproteinintoleranz oder einer vorübergehenden Laktoseintoleranz leidet? Erbricht dein Baby häufig – vielleicht weil es an einer gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) leidet?

Das sind keine gewöhnlichen Probleme, aber einige Babys leiden unter ihnen, also solltest du sie auf dem Schirm haben. Es ist auch wichtig, auf Symptome zu achten, die auf einen Darmverschluss oder eine Darmverschlingung hindeuten – Anzeichen dafür sind ein fester, aufgeblähter Bauch, gekrümmte Beine, Erbrechen oder Blut im Stuhl. Diese Symptome sind zwar selten, aber sehr gefährlich. Wenn du diese Anzeichen beobachtest, solltest du sofort deinen Arzt oder deine Ärztin aufsuchen.

Ursachen für Koliken

Die neuesten Studien deuten auch auf zwei andere Ursachen für Koliken hin: Migräne bei Babys und ein gestörtes Gleichgewicht der Bakterienarten im Dickdarm des Babys.

Es ist bisher unklar, wie häufig Migräne bei Babys vorkommt, weil niemand genau weiß, wie man feststellt, ob ein Baby unter Migräne leidet.

Doch Studien zeigen, dass Babys mit Koliken mit höherer Wahrscheinlichkeit Mütter haben, die unter Migräne leiden. Babys mit Koliken werden außerdem wenn sie älter sind, häufiger mit Migräne diagnostiziert. Deshalb gibt es Grund zu der Annahme, dass die Ursache für die Koliken zumindest bei einigen Babys eine Migräne ist.

Die Vermutung, dass Koliken durch ein Ungleichgewicht der Bakterien im Dickdarm verursacht werden, könnte eine Erklärung für viele Koliken sein.

Studien haben erwiesen, dass Babys, bei denen Koliken festgestellt wurden, zudem ein Übermaß an Bakterienarten im Darm haben, welche Entzündungen und übermäßige Blähungen verursachen können.

Dies könnte theoretisch zu einer leichten Darmentzündung führen und Babys schmerzempfindlicher im Darm machen. Die Anpassung der Darmflora eines Babys – so dass ein größerer Teil der Bakterien zu den „guten“ probiotischen gehört – könnte dies verhindern.

In der Praxis zeigen mehrere kontrollierte Studien, dass sich die Symptome bei kolikartigen Babys – insbesondere bei gestillten Babys – verringern, wenn sie eine Behandlung mit Probiotika erhalten. Untersuchungen deuten darauf hin, dass diese Behandlung die tägliche Zeit des Weinens reduzieren kann.

Das funktioniert nicht immer, und einige Babys sollten diese Behandlungsmethode nicht ausprobieren, wenn sie ein geschwächtes Immunsystem haben. Aber für Babys mit normaler Immunfunktion scheint die Behandlung mit dem Probiotikum Lactobacillus reuteri gefahrlos zu sein. Sollten die Beschwerden deines Babys nicht auf eine Infektion oder Krankheit zurückzuführen sein, kann es sich lohnen, Probiotika – auf Anraten deines Kinderarztes – auszuprobieren.

Andere mögliche Ursachen: Hochsensibles Temperament, vorübergehende Entwicklungsverzögerungen und andere Faktoren bei der Betreuung

Vielleicht hat dein Baby gar keine physischen Schmerzen. Vielleicht ist das eigentliche Problem, dass dein Baby sehr angespannt ist oder dass es Verzögerungen bei der Selbstregulierung oder der Produktion von Hormonen für den Tagesrhythmus gibt.

Manche Babys haben zum Beispiel stark ausgeprägte Reaktionen auf Stress. Sie reagieren in Situationen, die ein eher ausgeglichenes Baby nicht aus der Ruhe bringen, mit einer Überreaktion auf Stress.

Andere Babys haben vielleicht einen Entwicklungsrückstand in ihrer Fähigkeit, Gefühle zu kontrollieren und sich von Verärgerung zu erholen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben eine andere, damit zusammenhängende Idee formuliert: Vielleicht schreien Babys deshalb so viel, weil sie noch keinen ausgeprägten Tagesrhythmus für die Hormonproduktion entwickelt haben. Sie produzieren abends nicht genug des Beruhigungshormons Melatonin und sind deshalb nachts launischer. Sie schlafen auch nicht so gut, was dazu führen kann, dass sie empfindlicher reagieren und schlechter in der Lage sind, sich selbst zu regulieren.

In all diesen Fällen sind Babys leicht reizbar und beruhigen sich nur schwer. Eltern können ihnen helfen, indem sie sich darauf einstellen, was sie besonders aufregt, und Reize vermeiden, die sie überfordern.

Das führt uns zu einer anderen Antwort auf die Frage „Was sind Koliken“. Können Koliken eine Reaktion auf das Verhalten der Bezugspersonen sein?

Eine Theorie lautet, dass Babys Koliken entwickeln, wenn ihre Eltern ängstlich, depressiv oder anderweitig gestresst sind.

Das ist plausibel, denn Stress kann ansteckend sein. Studien mit einjährigen Babys zeigen, dass Babys den Stress ihrer Eltern spüren und widerspiegeln können. Zudem gibt es Hinweise dafür, dass Mütter weniger häufig Koliken bei ihren Babys melden, wenn sie einen unterstützenden Partner oder eine Partnerin haben.

Es ist aber auch klar, dass die Koliken der Babys bei den Eltern zu Stress führen. Was tritt zuerst auf, der Stress der Eltern oder die Koliken? Diese Frage hat die Forschung noch nicht geklärt.

Auf jeden Fall solltest du dich um deinen Stress und deine emotionalen Bedürfnisse kümmern.

Wie bereits erwähnt, haben Eltern bei Babys mit Koliken ein höheres Risiko, depressiv zu werden. Und Babys fällt es schwerer, eine sichere Beziehung aufzubauen, wenn ihre Eltern depressiv sind.

Die Stärkung deiner psychischen Gesundheit ist also nicht nur für dein persönliches Wohlbefinden wichtig. Sie kommt deiner ganzen Familie zugute. Suche nach Unterstützung von Familie und Freunden und finde Methoden zur Stressbewältigung, die dir helfen.

Kümmere dich nie um ein Baby, solange du wütend bist oder kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehst. Es ist besser, dein Baby in seinem Bettchen oder seiner Wiege zu lassen, als ein Risiko einzugehen. Und falls das bedeutet, dass du das Weinen deines Babys eine Zeit lang ignorieren musst, ist das auch in Ordnung.

Wie sieht es mit der Kehrseite aus? Probleme, die entstehen können, wenn Eltern nicht aufmerksam genug sind?

Eine Theorie besagt, dass Koliken durch Erziehungsmethoden verursacht werden, die die Aufmerksamkeit und den Körperkontakt zwischen Eltern und Babys minimieren. Koliken könnten demnach verhindert werden, wenn die Bezugspersonen bei der Pflege des Babys besonders aufmerksam und behutsam vorgehen:

  • Das Baby mindestens 80% der Zeit halten oder tragen und
  • innerhalb von Sekunden nach dem Schreien des Babys stillen oder es anderweitig beruhigen.

Wie ich jedoch an anderer Stelle erläutere, hat sich diese Vorhersage nicht bewahrheitet. Obwohl diese Vorgehensweise das Weinen bei normalen, nicht kolikartigen Babys reduzieren kann, haben Untersuchungen nicht gezeigt, dass sie die Dauer des Weinens bei Babys, die mit Koliken diagnostiziert wurden, verringert.

Vielleicht liegt es daran, dass die Eltern, die sich für diese Studie zur Verfügung gestellt haben, bereits versuchten, Koliken durch mehr Zuwendung zu beseitigen – und scheiterten. Ihre Babys gehörten zu der Minderheit der Kolikpatienten, die untröstlich sind.

Fazit

Ich zweifle nicht daran, dass die Fürsorge entscheidende Auswirkungen auf Babys hat, und es ist sinnvoll, dass Eltern ihr Verhalten überdenken, wenn sie ein Baby mit Koliken haben. Es ist immer eine gute Idee, Stress abzubauen und Gelassenheit zu zeigen. Das Gleiche gilt für einfühlsame, aufmerksame Fürsorge. Solche Ratschläge können dir helfen, den Stresspegel deines Babys zu senken.

Es ist jedoch ein Trugschluss, dass Babys Koliken haben, weil ihre Eltern nicht aufmerksam, liebevoll oder geduldig genug sind.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/nahaufnahmefoto-des-weinenden-babys-47090/

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