Konstruktionsspielzeug, wie Holzklötze, Lego®-Steine und Mega Bloks®, bietet Kindern spannende Möglichkeiten zum Tüfteln und Gestalten. Dies kann sich positiv auf ihre Entwicklung auswirken. Das Spielen mit Bauklötzen wird mit der Förderung einer ganzen Reihe von Fähigkeiten in Verbindung gebracht. Einige Beispiel hierfür sind das motorische und räumliche Vorstellungsvermögen, Sprachkenntnisse und unterschiedliche Fähigkeiten der Problemlösung.

Diese Fähigkeiten sind auch hilfreich für den Erfolg in Bereichen wie Naturwissenschaften, Technik, Ingenieurwesen und Mathematik – also die Fächer, die gemeinhin als „MINT-Fächer“ bezeichnet werden. Das ist aber noch nicht alles.

Konstruktionsspiele können neben der Verbesserung von Fähigkeiten, auch das Interesse eines Kindes am MINT-Bereich wecken, und eine ganz bestimmte Form des Spielens- das sogenannte „strukturierte Klötzchenspiel“ – ist möglicherweise besonders förderlich für die Entwicklung des räumlichen Vorstellungsvermögens, einer Form der Intelligenz, die für MINT-Leistungen entscheidend ist.

Woher wissen wir das?

Konstruktionsspiele und Technik

Die Ingenieurin Tiffany Tseng hat jahrelang im MIT Medienlabor gearbeitet, das mit Lego® zusammenarbeitet, um neue pädagogische Werkzeuge für den MINT-Unterricht zu entwickeln. Für sie ist die Verbindung zwischen Konstruktionsspielen und Technik eindeutig. Lego®-Projekte sind „ein guter Einstieg, um Ideen mit Gegenständen darzustellen“, stellt sie fest. „Das Zusammenbauen und Auseinandernehmen von Dingen hat mein Interesse an der Funktionsweise anderer Dinge geweckt, und schon während meines Abiturs wusste ich, dass ich Ingenieurin werden wollte.“

Angesichts der vielen Lego®-Metaphern, die in der Wissenschaft verwendet werden – von Nanopartikeln bis hin zu synthetischer Biologie – scheint es wahrscheinlich, dass das spielerische Bauen auch Menschen in vielen anderen Bereichen inspiriert hat. Die Beweise hierfür gehen über das Anekdotenhafte hinaus.

In einer amerikanischen Studie unter leistungsstarken Hochschulabsolventen wurde festgestellt, dass Erwachsene mit einem Abschluss in einem MINT-Fach „weitaus häufiger als der Durchschnitt der Amerikaner“ über umfangreiche Erfahrungen mit „handwerklichen“ Tätigkeiten und Hobbys wie Holzarbeit, Mechanik und Elektronik verfügen.

Doch was geschieht in den Köpfen der Kinder? Ändert das Konstruktionsspiel wirklich die Art und Weise, wie Kinder über räumliche Zusammenhänge denken und darüber, wie Dinge zusammengehören? Fördert es die Fähigkeit, räumliche Informationen vor dem “ inneren Auge“ zu visualisieren und zu verändern?

Die Verbindungen zwischen MINT, räumlichem Vorstellungsvermögen und Konstruktionsspielen

Wir wissen, dass ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen wichtig für den Erfolg in MINT-Fächern ist. Von klein auf werden räumliche Vorstellungsvermögen mit mathematischer Kompetenz in Verbindung gebracht. Im Jugendalter ist das räumliche Vorstellungsvermögen ausschlaggebend für den langfristigen Erfolg eines Kindes im MINT-Bereich. Die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendliche einen Hochschulabschluss in einem MINT-Fach erlangen, ist wesentlich höher, wenn sie bereits in der Oberstufe über gute räumliche Fähigkeiten verfügen.

Wir wissen auch, dass räumliches Denken kein magisches, unveränderliches Talent ist. Studien bestätigen, dass Menschen durch Training und Übung erhebliche Fortschritte machen können. Das könnte besonders für kleine Kinder gelten. Als Forscher die Ergebnisse von 20 veröffentlichten Studien untersuchten, stellten sie fest, dass die Auswirkungen von räumlichen Übungen bei kleinen Kindern sehr groß sind.

Es kann also festgehalten werden, dass räumliches Vorstellungsvermögen den langfristigen Erfolg eines Kindes im MINT-Bereich voraussagen kann. Außerdem kann das räumliche Vorstellungsvermögen durch Übungen drastisch verbessert werden. Es bleibt die Frage: Können spielerische Bauaktivitäten als Übung für das räumliche Vorstellungsvermögen dienen?

Der Zusammenhang ist da. Wenn Forscher/innen das räumliche Vorstellungsvermögen von Kindern testen, finden sie Zusammenhänge mit ihrem Verhalten. Kinder mit einem besonders guten räumlichen Vorstellungsvermögen verbringen einen Großteil ihrer Freizeit mit räumlichen Spielen. Sie bauen Strukturen oder fügen Puzzles zusammen.

Es gibt auch Zusammenhänge zwischen räumlichem Vorstellungsvermögen, mathematischen Fähigkeiten und der Komplexität der Bauwerke eines kleinen Kindes. In Studien mit Dreijährigen zeigte sich, dass die Kinder, welche die komplexesten Strukturen bauten, auch das beste Verständnis von Formen und Zahlen hatten.

Es gibt also eindeutig einen Zusammenhang zwischen den Bauaktivitäten von Kindern und ihren räumlichen Fähigkeiten. Allerdings können wir nicht davon ausgehen, dass ein Haufen Bauklötze allein einen großen Einfluss auf das räumliche Vorstellungsvermögen eines Kindes haben wird.

Einige der beobachteten Zusammenhänge könnten auf bereits bestehende Unterschiede bei den Kindern zurückzuführen sein. Kinder mit einem ausgeprägten räumlichen Vorstellungsvermögen verbringen möglicherweise mehr Zeit mit dem Spielen von Bauklötzen, da es ihnen mehr Spaß bringt. Zum anderen stellt sich die Frage, was genau beim Spielen mit Bauklötzen dazu führt, dass Kinder mehr lernen.

Um zu verstehen, was ich meine, stell dir zwei Situationen vor. In einem Fall stapelt ein Kind fröhlich Klötze. Es ist dabei kreativ und spontan, folgt aber nicht zwangsläufig einem Plan. Im anderen Fall schaut das Kind auf eine Vorlage oder ein Modell. Sein Ziel ist es, ein bestimmtes Design nachzubauen.

Welche Situation ist für die Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens von Vorteil? Wahrscheinlich beides. Das Hantieren mit Gegenständen, das Lernen, wie sie gestapelt werden können und wie sie zusammenpassen – diese Erfahrungen sind zweifellos entscheidend für kleine Kinder, um ein Gespür für räumliche Zusammenhänge zu entwickeln.

Besonders interessiert sind die Forscher aber am zweiten Szenario, bei dem das Kind versucht, einem Modell oder einem Plan zu folgen. Die Forscher nennen dies „strukturiertes Bauen“ und glauben, dass es sich besonders vorteilhaft auf die Entwicklung des räumlichen Vorstellungsvermögens auswirkt.

Warum ist strukturiertes Bauen wichtig?

Betrachten wir ein konkretes Beispiel. Nehmen wir an, wir geben einem dreijährigen Kind einen Satz Bauklötze und bitten es, das Muster auf folgeder Vorlage nachzubauen: Zwei Legosteine, werden auf einem dritten Stein befestigt.

Wie schwierig ist diese Aufgabe? Wie viele Dreijährige schaffen es, das mit absoluter Genauigkeit nachzubilden? Brian Verdine und seine Kollegen haben diese Aufgabe mehr als 100 Dreijährigen gestellt, und den meisten Kindern fiel es schwer. Tatsächlich waren nur 40 % der Kinder in der Lage, das vorgegebene Design perfekt nachzubilden. Bei anderen, schwierigeren Vorlagen (bei denen einige Teile im rechten Winkel zueinander angeordnet waren) lag die Erfolgsquote bei unter 10 %.

Warum waren diese „Nachbau“-Aufgaben für kleine Kinder so herausfordernd?

Zum Teil liegt das daran, dass Kinder noch dabei sind, bestimmte grundlegende kognitive Fähigkeiten zu entwickeln. Sie müssen in der Lage sein, sich auf die Feinheiten eines Problems zu konzentrieren. Sie müssen ihre Impulse überwinden und verschiedene Bausteine auf vielfältige Weise vergleichen – manchmal nach Farbe, manchmal nach Länge. Kleine Kinder haben mehr Schwierigkeiten, zwischen verschiedenen Teilaufgaben hin und her zu wechseln.

Das bedeutet, dass kleine Kinder Schwierigkeiten haben, weil sie noch keine ausgereifte exekutive Funktion besitzen. Doch es steckt noch mehr dahinter. Um diese Aufgaben richtig zu lösen, brauchen Kinder auch ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen.

Sie müssen das, was sie sehen, analysieren, die Komponenten erkennen, aus denen sich das Ganze zusammensetzt, und herausfinden, wie sie zusammengehören. Zuden auf Winkel und Ausrichtung achten. Und Maße wie Länge und Breite einschätzen können. Außerdem hilft es, wenn Kinder sich vorstellen können, wie ein Objekt aus verschiedenen Richtungen betrachtet aussehen wird. Es ist einfacher, genaue Strukturen nachzubilden, wenn man die Fähigkeit hat, bestimmte Formen vor dem “ inneren Auge“ zu drehen.

Diese Fähigkeiten müssen Kinder also entwickeln, um das strukturierte Bauen mit Klötzen zu beherrschen. Wie sieht es mit eigenständigem, unabhängigem und selbst gestaltetem Klötzchenspiel aus? Unstrukturiertes Bauen ist auf seine eigene Art und Weise wertvoll und wichtig. Laut Forschern ist es jedoch nicht so förderlich für die Entwicklung des räumlichen Vorstellungsvermögens.

Heißt das, dass wir Kinder zum strukturierten Bauen anregen sollten? Oder dass strukturiertes Bauen in den Lehrplan der Schule aufgenommen werden sollte?

Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens mit nur wenigen Einheiten des strukturierten Klötzchenspiels

Es gibt experimentelle Beweise, die dafür sprechen.

Nimm die Arbeit von Sharlene Newman und ihren Kollegen. Die Forscher rekrutierten 28 Achtjährige und testeten die Fähigkeit der Kinder, Gegenstände vor ihrem “ inneren Auge“ zu drehen und zu wenden. Die Kinder sollten sich „verschlüsselte“ Buchstaben des Alphabets ansehen und nur durch visuelle Überprüfung feststellen, ob diese Buchstaben gespiegelt oder nur gedreht waren. Während die Kinder diese Aufgaben lösten, wurde ihre Gehirnaktivität mit der fMRT (funktionelle Magnetresonanztomographie) aufgezeichnet.

Nachdem die Forscher/innen das räumliche Vorstellungsvermögen der Kinder ermittelt hatten, begannen sie mit der Testphase. Eine Hälfte der Kinder sollte an einer Reihe von Partien mit dem Brettspiel Scrabble teilnehmen. Die anderen Kinder sollten an einem strukturierten Klötzchenspiel teilnehmen.

Nach nur fünf 30-minütigen Sessions – über einen Zeitraum von etwa 12 Tagen verteilt – testeten die Forscher die gedanklichen Rotationsfähigkeiten der Kinder erneut. Und es hatte sich etwas geändert, allerdings nur bei den Kindern, die am strukturierten Klötzchenspiel teilgenommen hatten. Diese Kinder zeigten deutliche Verbesserungen bei Schnelligkeit und Genauigkeit. Außerdem zeigten ihre Gehirnscans eine erhöhte Aktivität in Bereichen, die mit räumlicher Verarbeitung zu tun haben – ein Muster, das darauf hindeutet, dass diese Kinder lernten, mentale Rotationsaufgaben auf eine neue Art und Weise zu lösen.

Es handelt sich hierbei nur um eine einzelne, kleine Studie, und wir brauchen mehr solcher Studien, um eine klare und eindeutige Schlussfolgerung zu ziehen. Doch die Ergebnisse stimmen mit den Resultaten einer früheren Studie überein, bei der die Forscher Kinder im Kindergarten dazu anleiteten, bestimmte Strukturen – wie Mauern mit einer bestimmten Höhe – mit Hilfe von Bauklötzen zu errichten. In dieser Studie zeigte sich, dass die Kinder, die an den Aktivitäten teilnahmen, anschließend ihre räumlichen Fähigkeiten steigerten, was anhand ihrer Ergebnisse im räumlichen Teil eines IQ-Tests (WISC-IV) gemessen wurde.

Vor kurzem haben Liman Cai und Kollegen ein interessantes Experiment mit 84 Kindern im Alter von 5 bis 6 Jahren durchgeführt. Die Hälfte dieser Kinder wurde nach dem Zufallsprinzip zu strukturiertem Bauen und Spielen eingeteilt. Die andere Hälfte wurde dem freien (unstrukturierten) Klötzchenspiel zugewiesen. Nach 14 Wochen zeigten die Kinder in der strukturierten Gruppe Verbesserungen bei bestimmten räumlichen Aufgaben. Sie waren besser in der Lage, Gegenstände mithilfe einer Karte zu finden. Außerdem konnten sie sich mit Hilfe von Sprache besser mit anderen über den Standort eines Gegenstands verständigen.

Schlussfolgerung

Wir benötigen weitere Untersuchungen (randomisierte, kontrollierte Studien) um besser zu verstehen, wie das strukturierte Bauen mit Klötzen das räumliche Vorstellungsvermögen von Kindern verbessert. Bis dahin gibt es aber ausreichend überzeugende Beweise dafür, dass Bauklötze und anderes Konstruktionsspielzeug einen guten Einfluss auf die Entwicklung von Kindern haben können.

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass das Spielen mit Bauklötzen auch die Sprachentwicklung, die Problemlösungsfähigkeit und die Zusammenarbeit fördern kann. Studien zeigen auch, dass Kinder mit Hilfe von Übungen ihr räumliches Vorstellungsvermögen verbessern können. Und die Hinweise aus Korrelationsstudien und Experimenten weisen in dieselbe Richtung. Beim Konstruktionsspiel – und vor allem beim strukturierten Bauen – können Kinder ihr räumliches Vorstellungsvermögen trainieren und verfeinern.

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/menschen-niedlich-spielen-zimmer-3928164/

Write A Comment

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung